Justizia
 
 
Stephan Schmelzer
Anwaltskanzlei Dr. Schmelzer
Ostberg 3
59229 Ahlen


» zum Anwaltsprofil

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – Rechte, Pflichten und aktuelle Rechtsprechung

Zur Systematik des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) und den arbeitsgerichtlichen Anforderungen an den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit.

Erkrankt ein Arbeitnehmer, hat er grundsätzlich Anspruch auf Fortzahlung seines Arbeitsentgelts für die Dauer von bis zu sechs Wochen. Diese zentrale Schutzregelung des deutschen Arbeitsrechts ist im Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) verankert und bildet einen wesentlichen Bestandteil der sozialen Absicherung abhängig Beschäftigter. Nach Ablauf dieser Frist tritt die Krankenkasse mit der Zahlung von Krankengeld ein (§ 44 SGB V).

Die praktische Relevanz des EFZG zeigt sich in einer Vielzahl arbeitsgerichtlicher Streitigkeiten, in denen die Voraussetzungen, der Nachweis und die Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit im Mittelpunkt stehen.

1. Gesetzliche Grundlagen und Anspruchsvoraussetzungen

Nach § 3 Abs. 1 EFZG haben Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn sie durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert sind, ohne dass sie ein Verschulden trifft, und das Arbeitsverhältnis bereits mindestens vier Wochen besteht.

Die zentralen Voraussetzungen sind:

Bestehendes Arbeitsverhältnis seit mindestens vier Wochen (sog. Wartezeit),

Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall,

Kein Verschulden an der Erkrankung,

Unverzügliche Anzeige der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber,

Ordnungsgemäßer Nachweis durch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU).

Seit 2023 wird die AU elektronisch über die Krankenkassen abgerufen (eAU-Verfahren). Die Verpflichtung zur fristgerechten Krankmeldung bleibt jedoch bestehen.

2. Dauer und Umfang der Lohnfortzahlung

Der Anspruch besteht für maximal sechs Wochen (42 Kalendertage) pro Erkrankungsfall. Maßgeblich ist die konkrete Erkrankungseinheit – bei neuen oder voneinander unabhängigen Erkrankungen beginnt die Frist jeweils neu zu laufen.

Bei mehreren, zeitlich aufeinanderfolgenden Erkrankungen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast, dass es sich tatsächlich um unterschiedliche Krankheitsursachen handelt (vgl. BAG, Urteil vom 18. 01. 2023 – 5 AZR 93/22). Andernfalls wird die zweite Erkrankung als Folgeerkrankung gewertet, was keine erneute Lohnfortzahlungspflicht begründet.

3. Minijob und Teilzeitbeschäftigung

Auch Minijobber fallen unter den persönlichen Geltungsbereich des EFZG (§ 2 EFZG). Sie haben Anspruch auf Lohnfortzahlung in Höhe des durchschnittlichen Arbeitsentgelts, das sie bei Arbeitsfähigkeit erzielt hätten. Maßgeblich ist die im Arbeitsvertrag festgelegte regelmäßige Arbeitszeit.

Beispiel:
Eine Minijobberin arbeitet montags regelmäßig fünf Stunden. Fällt sie krankheitsbedingt aus, besteht Anspruch auf Entgeltfortzahlung für fünf Stunden.

Wichtig ist, dass auch geringfügig Beschäftigte die Anzeige- und Nachweispflichten erfüllen müssen.

4. Anzeige der Arbeitsunfähigkeit – Kommunikationswege und Grenzen

Gemäß § 5 EFZG muss der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitteilen – in der Regel am ersten Krankheitstag und vor Arbeitsbeginn. Die Form der Mitteilung ist gesetzlich nicht vorgeschrieben.

Zulässig ist eine Krankmeldung per WhatsApp, SMS oder E-Mail, wenn diese Kommunikationswege im Betrieb üblich oder ausdrücklich gestattet sind. Entscheidend ist, dass die Nachricht den zuständigen Vorgesetzten tatsächlich rechtzeitig erreicht.

Unzulässig ist hingegen eine Mitteilung in Gruppen-Chats oder an Kolleginnen und Kollegen, wenn der Arbeitgeber hiervon keine Kenntnis erlangt. Wird die Arbeitsunfähigkeit verspätet oder falsch angezeigt, drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen – bis hin zur Abmahnung oder verhaltensbedingten Kündigung.

5. Erkrankung während des Urlaubs

Nach § 9 BUrlG werden Krankheitstage, die durch ärztliches Attest nachgewiesen sind, nicht auf den Urlaub angerechnet. Der Arbeitnehmer kann die betroffenen Urlaubstage nach Genesung nachholen. Die Erkrankung muss jedoch unverzüglich angezeigt und durch eine AU belegt werden – auch im Ausland.

6. Grenzen des Anspruchs – Pflichtverletzungen und Verschulden

Der Arbeitgeber darf die Entgeltfortzahlung verweigern oder zurückfordern, wenn

die Arbeitsunfähigkeit schuldhaft herbeigeführt wurde (z. B. riskante Sportarten, Trunkenheit),

der Arbeitnehmer seine Melde- und Nachweispflichten verletzt (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG),

oder der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert ist.

Ein klassischer Fall der Beweiswerterschütterung liegt vor, wenn die Dauer der Krankschreibung exakt der Kündigungsfrist entspricht. Nach dem BAG, Urteil vom 8. 9. 2021 – 5 AZR 149/21, verliert die AU in solchen Fällen ihren vollen Beweiswert. Der Arbeitnehmer muss dann substantiiert darlegen, welche konkreten gesundheitlichen Einschränkungen bestanden.

Auch sportliche Aktivitäten während der Krankschreibung können Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. So entschied das LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. 7. 2024 – 12 Sa 1266/23, dass der Beweiswert der AU erschüttert war, weil der Arbeitnehmer während der attestierten Erkrankung an Freizeitturnieren teilnahm. Der Arbeitgeber durfte die gezahlte Entgeltfortzahlung (3.363,34 €) zurückfordern.

7. Beweislastfragen und prozessuale Folgen

Die ärztliche AU-Bescheinigung hat grundsätzlich hohen Beweiswert. Wird dieser erschüttert, trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Gelingt dieser Nachweis nicht, entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung – mit der Folge, dass zu viel gezahlte Beträge rückabzuwickeln sind (§ 812 BGB).

Fazit

Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bleibt ein zentrales Schutzinstrument des Arbeitsrechts, birgt jedoch erhebliche Streitpotenziale. Arbeitgeber sind gut beraten, Krankmeldungen und elektronische AUs sorgfältig zu prüfen, ohne vorschnell den Beweiswert anzuzweifeln. Arbeitnehmer wiederum sollten ihre Anzeige- und Nachweispflichten strikt beachten, um den Verlust des Anspruchs zu vermeiden.

Die aktuelle Rechtsprechung zeigt eine klare Tendenz: Gerichte werten formale Pflichten zunehmend streng, zugleich bleibt der Schutzgedanke des EFZG unangetastet. Transparente innerbetriebliche Kommunikationswege und klare Regelungen zur Krankmeldung sind daher der sicherste Weg, um Konflikte zu vermeiden.

Rechtsanwalt Dr. Stephan Schmelzer
Fachanwalt Arbeitsrecht, Fachanwalt IT-Recht
http://www.dr-schmelzer.eu

Ostberg 3, 59229 Ahlen
Tel.: 02382 . 6646

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.
 
«  zurück