Zu den geplanten SGB-II-Änderungen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
mein heutiger Newsletter zu folgenden Themen:
1. Zu den geplanten SGB-II-Änderungen
Medial sickern immer weitere Details zu den geplanten Änderungen im SGB II durch. Die erste Version des Referentenentwurfs wurde noch vor der Ressortabstimmung durchgestochen, sodass zunehmend deutlich wird, welche Maßnahmen die Bundesregierung plant.
Die derzeit beste Zusammenfassung findet sich in einem Artikel des Merkur.de vom 19.10.:
???? https://t1p.de/13rxv
Geplant ist unter anderem die vollständige (100%) Streichung der SGB-II-Leistungen bei wiederholten Meldeversäumnissen sowie bei Ablehnung von Arbeitsangeboten. Das bedeutet: keine Regelleistung, keine Mietkostenübernahme, keine Krankenversicherung.
Lebensmittelgutscheine sind nicht vorgesehen – stattdessen soll es behördliche Hausbesuche geben.
Der neue Ansatz lautet also nicht mehr „Sanktion“, sondern Leistungsversagung bei fehlender Mitwirkung, verbunden mit der Annahme, wer nicht mitwirke, sei offensichtlich nicht hilfebedürftig. Dieselbe Argumentation gilt bei Stellenablehnungen.
Diese Idee basiert auf einem Gutachten des ehemaligen BSG-Präsidenten Rainer Schlegel, das er für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) verfasst hat. Schlegel soll laut Süddeutscher Zeitung Carsten Linnemann beraten haben, der gemeinsam mit SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas die neuen Regelungen verhandelt.
Details dazu hier (hinter Paywall): https://t1p.de/v0a6q,
oder ohne Paywall in der Welt: https://t1p.de/38fsw
Zu Herrn Schlegel hatte ich bereits in meinem Newsletter vom 03.03.2024 angemerkt: „Manchmal ist es gut, wenn Richter gehen.“
➡️ https://t1p.de/3bjhq
Konkrete Sanktionspläne
Bei Terminversäumnissen:
Nach zwei versäumten Terminen: 30 % Kürzung
Nach drei Terminen: 100 % Kürzung
Nach vier Terminen: kompletter Wegfall von Regelsatz, Unterkunftskosten und Krankenversicherung
Bei Pflichtverletzungen:
30 % Kürzung bereits beim ersten Verstoß
Ablehnung eines Arbeitsangebots: kompletter Leistungsentzug der Regelleistung
Wiederholte Ablehnungen: kompletter Wegfall von Regelsatz, Miete und Krankenversicherung
Bemerkung:
Mit der „Vermutung des Wegfalls der Hilfebedürftigkeit“ wird versucht, das Sanktionsurteil des Bundesverfassungsgerichts zu umgehen. Die geplanten 100%-Sanktionen dürften klar verfassungswidrig sein. Für eine endgültige Bewertung muss der Gesetzestext abgewartet werden – sicher ist jedoch, dass es zu harten Auseinandersetzungen kommen wird.
Bewertung:
Das Sanktionsregime wird vor allem die „schwierigen“ oder gesundheitlich beeinträchtigten Menschen treffen – daran ändert auch kein Hausbesuch etwas. Entgegen der Beschönigungen von Herrn Merz wird dies unweigerlich zu mehr Obdachlosigkeit führen.
Zudem werden Vermieter künftig noch seltener an SGB-II-Beziehende vermieten, da sie befürchten müssen, dass das Amt aufgrund von Sanktionen keine Miete mehr zahlt.
Es sollte jetzt schon überlegt werden, wie solidarische Beistandsstrukturen (z. B. durch Wohlfahrtsverbände oder Die Linke hilft) bundesweit aufgebaut werden können, um Menschen mit Behördenängsten zu unterstützen.
Die Union – mit Zustimmung der SPD – führt mit diesem Gesetz ein härteres Sanktionsregime als unter Hartz IV ein. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts sollen mit juristischen Tricks umgangen werden. Damit wird eine „unwürdige Existenz“ geschaffen.
Das Bundesverfassungsgericht stellte im Urteil vom 05.11.2019 (1 BvL 7/16) klar:
„Das menschenwürdige Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) darf nicht gekürzt werden. Die Menschenwürde steht allen zu – und geht auch durch vermeintlich ‘unwürdiges’ Verhalten nicht verloren.“
Es ist zu hoffen, dass sich Parteien, Verbände und Initiativen gegen diese geplanten Regelungen stellen. Denn sie bedeuten nichts weniger als eine Demontage des Sozialstaats mit der Brechstange – zur weiteren Ausweitung des Niedriglohnsektors und prekärer Beschäftigung.
2. Bürgergeld unter Generalverdacht – EU-Bürger*innen als Zielscheibe von Populismus und Medien
Die derzeitige Hetze gegen armutsbetroffene EU-Bürger*innen ist unerträglich.
Auf Initiative von Armut und Gesundheit in Deutschland e.V., Medinetz Mainz, Medinetz Koblenz, der Clearingstelle Krankenversicherung Rheinland-Pfalz und des Initiativausschusses für Migrationspolitik haben über 60 Organisationen und Einzelpersonen einen Aufruf veröffentlicht:
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Aus dem Aufruf:
Wir fordern Medienhäuser auf, ihrer journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen und differenziert zu berichten. Bilder und Sprache prägen gesellschaftliche Haltung. Tragen Sie nicht dazu bei, Armutsbetroffene zu entmenschlichen.
Armut, unsichere Beschäftigung und Ausgrenzung sind keine Vergehen, sondern Folgen politischer Entscheidungen. Demokratie, Sozialstaat und gesellschaftlicher Zusammenhalt müssen geschützt werden – nicht durch Kriminalisierung, sondern durch faktenbasierte und verantwortungsvolle Berichterstattung.
Die Union behauptet in Vorbereitung auf Sozialkürzungen, der Sozialstaat „explodiere“ und sei nicht mehr finanzierbar.
Das Statistische Bundesamt stellt jedoch klar:
Gemessen an der Wirtschaftskraft sind die Sozialausgaben des Bundes nicht gewachsen.
➡️ Näheres in der Tagesschau: https://t1p.de/dtwnm
4. Bürgergeld im Realitätstest – Materielle Entbehrung und wachsende Armutslücke
Eine aktuelle Studie des Paritätischen Gesamtverbands zeigt: Das Bürgergeld schützt nicht vor Armut und verfehlt die UN- und EU-Vorgaben (SDGs, Empfehlung zur Mindestsicherung).
Es sichert das nackte Überleben, aber nicht soziale Teilhabe und kein würdiges Leben.
Erschreckende Befunde:
Fast jede*r Fünfte besitzt kein zweites Paar Schuhe
Jede*r Dritte kann sich keine vollwertige Mahlzeit jeden zweiten Tag leisten
Über die Hälfte kann kaputte Möbel nicht ersetzen
Dies geschieht trotz Tafeln und Sozialkaufhäusern – während gleichzeitig verschärfte Sanktionen geplant werden.
➡️ Weitere Infos: https://t1p.de/pa0hp
5. Gesellschaft für Freiheitsrechte – Individualbeschwerde gegen den Leistungsausschluss von Dublin-Flüchtlingen
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat erstmals aus Deutschland eine Individualbeschwerde beim UN-Sozialausschuss eingereicht – gegen den Leistungsausschluss von Dublin-Flüchtlingen.
Gefordert werden einstweilige Maßnahmen und die Abschaffung dieses Ausschlusses, der gegen die sozialen Menschenrechte des UN-Sozialpakts verstößt.
➡️ Mehr auf der Seite der GFF: https://freiheitsrechte.org/existenzielle-not
➡️ Grundlageninfos: https://t1p.de/0tvet
6. Leistungsausschluss in Dublin-Fällen rechtlich und tatsächlich unanwendbar
Die GGUA berichtet: Das Flüchtlingsministerium (MFFKI) Rheinland-Pfalz hat einen aktualisierten Erlass zu den Leistungsausschlüssen in Dublin- und Anerkannten-Fällen (§ 1 Abs. 4 Nr. 1 und 2 AsylbLG) herausgegeben.
Rheinland-Pfalz ist derzeit das einzige Bundesland, das seine Sozialbehörden ausdrücklich auffordert, bei Entscheidungen Verfassung und EU-Recht (Aufnahmerichtlinie) zu beachten.
Ergebnis: Ein vollständiger Leistungsausschluss ist stets unzulässig, selbst eine Kürzung nicht mit EU-Recht vereinbar.
➡️ Mehr: https://t1p.de/iwjjt
7. Schockierende Dunkelziffer – Bis zu 800.000 Menschen ohne Krankenversicherung
Nach Expertenschätzungen leben in Deutschland bis zu 800.000 Menschen ohne Krankenversicherung.
„Man geht von einer sehr hohen Dunkelziffer aus“, sagte Sophie Pauligk, Vorständin des Bundesverbands Anonymer Behandlungsschein und Clearingstellen für Menschen ohne Krankenversicherung, der KNA.
Bemerkung:
Auch aus unserer Beratungspraxis kennen wir viele Fälle:
Menschen ohne Krankenversicherung, mit hohen Krankenkassenschulden (teils im fünfstelligen Bereich), mit ruhender Versicherung oder mit privater Krankenversicherung in Armut.
All diese Situationen sind massive Probleme.
Es braucht dringend eine Regelung zum Schuldenschnitt und eine Rückkehrmöglichkeit von der PKV in die GKV.
Das Sozialportal ist eine einfache und bundesweite Datenbank für sozialrechtliche Beratung, Unterstützung und Selbsthilfe, ebenso Anwälte und Anwältinnen. Für kostenlose Beratungsangebote ist die Eintragung in das Sozialportal kostenfrei. Tragen Sie sich jetzt ein!
8. SGB II – Grundlagenseminare / Update zum Bürgergeld / Neue Grundsicherung
Zweitägiges Online-Seminar mit Überblick über das SGB II und Schwerpunkt Leistungsrecht, geplante Gesetzesänderungen im Rahmen der "Neuen Grundsicherung" werden selbstverständlich einfließen, sowie aktuelle Rechtsprechung.
Termine:
29./30. Okt. 2025
17./18. Nov. 2025
01./02. Dez. 2025
12./13. Jan. 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/chgq
9. Seminar: Basiswissen Sozialberatung – Werkzeuge aus und für die Praxis
Zweitägiges Online-Seminar zum Handwerkszeug der Sozialberatung: Aufbau der Sozialgesetzbücher, Antrag, Mitwirkungspflichten, Beschleunigung, Bescheide, Widerspruch, Überprüfung und vieles mehr.
Termine:
24./25. Nov. 2025
08./09. Dez. 2025
21./22. Jan. 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/hdlq
10. SGB II – Berechnungsseminar: Bescheide prüfen und verstehen lernen
Zweitägiges Seminar zur Bedarfsermittlung, Einkommensanrechnung und Bescheidprüfung. In Kleingruppen wird gerechnet und vertieft.
Termine:
03./04. Nov. 2025
16./17. Dez. 2025
23./24. Feb. 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/pv2v2
11. SGB II - Intensivseminar über 5 Tage in 2026 / Intensiv-Update zum Bürgergeld / Neue Grundsicherung
In diesem fünftägigen Online-Seminar geht es geballt und intensiv um das SGB II - Leistungsrecht / Neuer Grundsicherung. Es werden die Details auseinandergenommen, die Gesetzesvorschriften zerpflückt, die Praxispunkte rausgearbeitet und klein fein zerlegt. Wer sich geballt tiefer mit dem SGB II auseinandersetzen will, ist hier genau richtig.
Termine:
18. - 22. Mai 2026
14. - 18. Sept. 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: https://t1p.de/j6vu
12. SGB II-Leistungen für Schüler, Auszubildende und Studierende
Überblick über Sozialleistungen neben BAföG, BAB, Ausbildungsvergütung. Aufstockungsmöglichkeiten, Härtefälle, Anrechnung von Einkommen sowie besondere Fragen internationaler Studierender.
Termine:
27. Nov. 2025
22. Dez. 2025
20. Feb. 2026
23. März 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/x47z1
13. SGB II-Seminar: Sozialrechtliche Ansprüche für Schwangere, Alleinerziehende und Familien
Eintägiges Online-Seminar mit Überblick über die relevanten Leistungsansprüche im SGB II/Bürgergeld.
Termine:
19. Nov. 2025
20. Jan. 2026
24. März 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/u67n
14. Seminar: SGB II für die Arbeit mit wohnungs- und obdachlosen Menschen
Eintägiges Online-Seminar zu Leistungsansprüchen, Durchsetzung gegenüber Behörden und Wahrung von Menschenwürde.
Termine:
18. Dez. 2025
29. Jan. 2026
19. Feb. 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/xily
15. Seminar: SGB II für die Migrationsberatung
Eintägiges Online-Seminar zu den Problemen im Umgang mit Jobcentern für Geflüchtete und die Migrationsberatung.
Termine:
15. Dez. 2025
19. Jan. 2026
25. Feb. 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/85hu
16. Seminar: Wichtiges und Neues aus dem SGB II für Frauenhäuser
Eintägiges Online-Seminar mit systematischem Überblick über SGB II-Fragen, relevant für Frauenhäuser und begleitende Dienste.
Termine:
28. Nov. 2025
26. Feb. 2026
10. April 2026
???? Ausschreibung & Anmeldung: t1p.de/qme5
17. Grundlagenseminar Sozialhilfe (SGB XII)
Das zweitägige Online-Seminar meines Kollegen Frank Jäger bietet einen Komplettüberblick über die Anspruchsvoraussetzungen und die Leistungen nach dem SGB XII, die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen, den Unterhaltsrückgriff und thematisiert die Schnittstellen zu anderen Sozialleistungen.
Termine:
17./18. Nov. 2025 ???? t1p.de/83hs0
16./17. Feb. 2026 ???? https://t1p.de/9pewp
18. Fachseminar: Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II und SGB XII
Tagesseminar des Kollegen Frank Jäger zu Leistungen für Unterkunft, Heizung, Umzugskosten, Mietschulden und Energiekosten. Unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung und Gesetzesänderungen wird die Thematik systematisch aufbereitet und praxisnah diskutiert.
Termine:
14. Okt. 2025 ???? Direktlink: t1p.de/x7f23
02. Feb. 2026 ???? Direktlink: https://t1p.de/9pewp
19. Fachseminar: Bürgergeld (Grundsicherung) oder Sozialhilfe? Schnittstellen, Unterschiede, Verschiebebahnhof
Die eintägige Fortbildung meines Kollegen Frank Jäger thematisiert die Anspruchsvoraussetzungen der jeweiligen Existenzsicherungsleistungen und deren Unterscheidung aber auch die Harmonisierung von SGB II und SGB XII. Im Fokus stehen die Unterschiede bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen, bei bestimmten Leistungsarten und im Verfahrensrecht.
Termine:
03. Dez. 2025 ???? t1p.de/elnvt
09. März 2026 ???? https://t1p.de/78887
So, das war es dann für heute.
Mit besten und kollegialen Grüßen
Harald Thomé
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