Justizia
 
 
Stephan Schmelzer
Anwaltskanzlei Dr. Schmelzer
Ostberg 3
59229 Ahlen


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Bezahlter Sonderurlaub beim Todesfall in der Familie – Rechte und Grenzen nach § 616 BGB

Der Tod eines nahen Angehörigen ist ein außergewöhnliches persönliches Ereignis. In dieser Ausnahmesituation stellt sich die Frage, ob Arbeitnehmer zur Arbeit erscheinen müssen oder ob ein Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht – und in welchem Umfang Arbeitgeber zur Freistellung verpflichtet sind. Der folgende Beitrag ordnet die Rechtslage strukturiert ein und zeigt die wichtigsten Stellschrauben in Gesetz, Vertrag und Tarifrecht.

Sachverhalt / Hintergrund

Ausgangspunkt ist die arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht zur Arbeitsleistung. Gleichzeitig erkennt das deutsche Recht an, dass besondere persönliche Ereignisse eine vorübergehende Verhinderung rechtfertigen können. In diesen Fällen kann der Vergütungsanspruch trotz Abwesenheit fortbestehen. Zentral ist hierfür § 616 BGB, der die Fortzahlung der Vergütung bei einer vorübergehenden, nicht erheblichen Verhinderung aus in der Person liegenden Gründen anordnet.

Rechtliche Würdigung / Analyse
1) Gesetzliche Grundlage: § 616 BGB

Inhalt: Fällt ein Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden aus einem in seiner Person liegenden Grund für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit aus, bleibt der Vergütungsanspruch bestehen.

Trauerfall als persönlicher Grund: Der Todesfall eines nahen Angehörigen ist regelmäßig ein wichtiger persönlicher Grund i. S. v. § 616 BGB.

Dauer („nicht erhebliche Zeit“): Das Gesetz kennt keine starre Tageszahl. Üblich sind wenige Tage – häufig ein bis drei Arbeitstage – abhängig von Nähe des Angehörigen, organisatorischem Aufwand (z. B. Beerdigung) und den Umständen des Einzelfalls.

2) Verwandtschaftsgrad und Praxisrichtwerte

Ehe-/Lebenspartner, eigene Kinder: regelmäßig 2–3 Tage.

Eltern: regelmäßig 2 Tage, teils bis 3 Tage.

Geschwister: in der Praxis 1–2 Tage (Einzelfallabhängigkeit).

Schwiegereltern/Großeltern: kein gesetzlicher Anspruch, häufig Kulanz (ggf. unbezahlt oder über Urlaub).

Weitere Verwandte: regelmäßig kein Anspruch; Ausnahmen bei besonderer Nähe/Haushaltsgemeinschaft denkbar.

Diese Werte sind Richtlinien und können je nach betrieblicher Übung, tariflichen/vertraglichen Regelungen und konkreten Umständen variieren.

3) Vertragliche, tarifliche und betriebliche Regelungen

Dispositivität: § 616 BGB ist abwählbar. Arbeits- oder Tarifverträge sowie Betriebsvereinbarungen können abweichen, etwa feste Anlässe und Tage definieren oder § 616 BGB ausschließen.

Vorrang besonderer Regeln: Gibt es eine einschlägige Regelung (z. B. § 29 TVöD: 2 Tage beim Tod von Ehe-/Lebenspartner, Kind, Elternteil), geht diese vor.

Ausschluss von § 616 BGB: Ein klar formulierter Ausschluss kann wirksam sein. Folge: Das Fernbleiberecht als solches kann bestehen (Unzumutbarkeit der Arbeit), aber ohne Lohnfortzahlung. In der Praxis finden sich oft kulante Lösungen.

4) Grenzen: Dauer und Nachweispflichten

Grenze „nicht erhebliche Zeit“: § 616 BGB schützt kurze Abwesenheiten. Längere Fehlzeiten (über deutlich wenige Tage hinaus) fallen nicht darunter und sind ggf. über Urlaub/unbezahlte Freistellung zu lösen.

Mitteilungspflicht: Arbeitnehmer müssen den Arbeitgeber unverzüglich informieren und die Freistellung beantragen/ankündigen (formlos ausreichend, sofern keine besonderen Vorgaben bestehen).

Nachweis: Ein Nachweis (z. B. Sterbeurkunde) kann verlangt werden, wenn kein anderer glaubhafter Beleg möglich ist.

5) Rechtsprechungslinien

Die Rechtsprechung grenzt kurzzeitige Ausfälle (von § 616 BGB gedeckt) gegen längere Abwesenheiten (nicht mehr umfasst) ab.

Klassisch betont das BAG, dass alltägliche Familienanlässe (z. B. übliche Feiern) grundsätzlich nicht erfasst sind; herausragende Ereignisse können eine Ausnahme bilden (vgl. BAG, Urt. v. 25.10.1973 – 5 AZR 156/73).

Todesfälle naher Angehöriger werden von den Gerichten einhellig als wichtiger persönlicher Grund anerkannt; der konkrete Zeitrahmen richtet sich nach den Umständen und ggf. nach Tarif-/Vertragslage.

6) Verhältnis zu weiteren Pflichten und Verfahren

Betriebsrat: Bei einer Kündigung im Umfeld längerer Abwesenheiten ist der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG anzuhören (Thema hier nur am Rande einschlägig).

Streitfälle: Lässt sich die Freistellung akut nicht einvernehmlich klären, kommt – bei Eilbedürftigkeit – eine einstweilige Verfügung in Betracht.

Fazit / Ausblick

Bei einem Todesfall im engen Familienkreis besteht regelmäßig ein Anspruch auf bezahlte Kurzfreistellung nach § 616 BGB, sofern dieser nicht vertraglich/tariflich ausgeschlossen oder modifiziert wurde. Maßgeblich sind Nähe des Angehörigen, organisatorischer Bedarf und die angemessene Dauer (nicht erhebliche Zeit).
Arbeitnehmer sollten unverzüglich informieren und etwaige Nachweise bereithalten. Arbeitgeber sind gut beraten, klare, ausgewogene Regelungen (Arbeits-/Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung) zu treffen und in der Ausnahmesituation menschlich wie rechtlich angemessen zu reagieren. So lassen sich Unsicherheiten vermeiden und belastende Konflikte entschärfen.

Rechtsanwalt Dr. Stephan Schmelzer
Fachanwalt IT-Recht, Fachanwalt Arbeitsrecht
http://www.dr-schmelzer.eu

Ostberg 3, 59229 Ahlen
Tel.: 02382.6646

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