Justizia
 
 
Stephan Schmelzer
Anwaltskanzlei Dr. Schmelzer
Ostberg 3
59229 Ahlen


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Krankheitsbedingte Kündigung – hohe Hürden und häufige Fehlannahmen

Die krankheitsbedingte Kündigung gehört zu den rechtlich anspruchsvollsten Formen der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sind häufig unsicher, wann eine Kündigung wegen Krankheit zulässig ist und welche rechtlichen Anforderungen erfüllt sein müssen.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seiner Rechtsprechung strenge Maßstäbe entwickelt, um den Bestandsschutz des Arbeitnehmers zu wahren. Der folgende Beitrag erläutert die zentralen Voraussetzungen, räumt mit verbreiteten Irrtümern auf und zeigt, wie Arbeitnehmer wie Arbeitgeber rechtssicher handeln können.


1. Grundsatz: Kündigung wegen Krankheit ist möglich – aber selten wirksam

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist grundsätzlich zulässig, wenn sie auf personenbedingte Gründe gestützt wird. Allein eine lange Krankheitsdauer oder häufige Fehlzeiten rechtfertigen jedoch keine Kündigung. Entscheidend ist das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose – also die begründete Annahme, dass der Arbeitnehmer auch künftig in erheblichem Umfang arbeitsunfähig sein wird.

Diese Prognose muss auf konkreten medizinischen Erkenntnissen beruhen; bloße Vermutungen genügen nicht. Nur wenn zusätzlich betriebliche oder wirtschaftliche Belastungen entstehen, kann die Kündigung gerechtfertigt sein.

2. Die negative Gesundheitsprognose

Nach ständiger Rechtsprechung des BAG liegt eine negative Gesundheitsprognose vor, wenn aufgrund des bisherigen Krankheitsverlaufs und ärztlicher Stellungnahmen zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer auch künftig häufig oder dauerhaft ausfallen wird.
Hierbei kommt es auf eine vorausschauende Betrachtung zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs an. Ein späterer Genesungsverlauf ändert die Rechtmäßigkeit nicht rückwirkend.

Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass konkrete Anhaltspunkte für eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit bestehen. Pauschale Aussagen wie „ständige Erkrankungen“ reichen nicht aus.

3. Weitere Voraussetzungen: Betriebliche Beeinträchtigung und Interessenabwägung

Neben der negativen Prognose müssen zwei zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein:

Erhebliche betriebliche Beeinträchtigung:
Etwa durch Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftliche Belastungen aufgrund wiederholter Entgeltfortzahlungen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG).

Interessenabwägung:
Die Kündigung ist nur zulässig, wenn dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Dabei sind mögliche mildere Mittel zu prüfen, z. B. eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes, ein leidensgerechter Einsatz oder die Versetzung auf eine andere Position.

Das Unterlassen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) (§ 167 Abs. 2 SGB IX) führt zwar nicht automatisch zur Unwirksamkeit der Kündigung, wird von den Gerichten aber regelmäßig zu Lasten des Arbeitgebers berücksichtigt.

4. Keine Abmahnung erforderlich

Eine Abmahnung setzt ein steuerbares Verhalten voraus. Da Krankheit kein steuerbares Verhalten ist, kann sie nicht gerügt oder geändert werden.
Folglich ist bei einer krankheitsbedingten Kündigung keine Abmahnung erforderlich.

5. Kündigung während der Krankschreibung

Auch während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit darf eine Kündigung ausgesprochen werden.
Das Gesetz enthält kein Kündigungsverbot während der Krankschreibung. Maßgeblich bleibt, ob die materiellen Voraussetzungen – insbesondere die Gesundheitsprognose und Interessenabwägung – erfüllt sind.

6. Langzeiterkrankung vs. häufige Kurzerkrankungen

Entgegen einer weit verbreiteten Annahme ist nicht die Dauer der Erkrankung entscheidend, sondern deren Auswirkungen.
Oft stellen häufige Kurzerkrankungen für Arbeitgeber die größere Belastung dar, weil bei jeder neuen Erkrankung erneut die sechswöchige Entgeltfortzahlungspflicht (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG) entsteht.
Bei einer durchgehenden Langzeiterkrankung endet diese Pflicht nach sechs Wochen – danach greift das Krankengeld.

7. Überschneidung mit der Berufsunfähigkeitsversicherung

Gerade bei längeren Erkrankungen kommt es häufig zu Schnittstellen mit dem Versicherungsrecht.
Wird eine Erkrankung voraussichtlich länger als sechs Monate andauern, sollte geprüft werden, ob ein Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente besteht.
Fehlerhafte oder voreilige Beendigungen des Arbeitsverhältnisses können versicherungstechnische Nachteile auslösen, insbesondere bei falschen Angaben gegenüber Versicherern oder beim Verlust des Versicherungsschutzes durch Aufhebungsverträge.

8. Beteiligung des Betriebsrats

Vor jeder Kündigung ist der Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG anzuhören.
Fehlt die ordnungsgemäße Anhörung, ist die Kündigung unwirksam.
Eine Zustimmung des Betriebsrats ersetzt jedoch nicht die Prüfung der materiellen Voraussetzungen – insbesondere der Gesundheitsprognose und Interessenabwägung.

9. Handlungsempfehlungen

Für Arbeitnehmer:

Innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erheben (§ 4 KSchG)

Ärztliche Unterlagen und Gesprächsverläufe sichern

Frühzeitig anwaltliche Beratung einholen

Für Arbeitgeber:

Lückenlose Dokumentation der Fehlzeiten und Prognosen

Durchführung eines BEM-Verfahrens

Prüfung leidensgerechter Alternativen

Frühzeitige arbeitsrechtliche Beratung, um Prozessrisiken zu minimieren

Ein umsichtiges Vorgehen schützt beide Seiten vor teuren Rechtsstreitigkeiten und Rufschäden.

Fazit

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nur das letzte Mittel (ultima ratio), wenn keine andere Lösung möglich ist. Arbeitgeber müssen eine sorgfältige Prognose, Abwägung und Dokumentation vorweisen können. Arbeitnehmer sollten sich sofort rechtlich beraten lassen, um ihre Ansprüche zu sichern.

Oft bietet ein Aufhebungsvertrag mit Abfindung eine pragmatische Alternative – allerdings nur nach genauer Prüfung der Folgen für Arbeitslosengeld und Versicherungsleistungen.

Rechtsanwalt Dr. Stephan Schmelzer
Fachanwalt IT-Recht, Fachanwalt Arbeitsrecht
http://www.dr-schmelzer.eu

Ostberg 3, 59229 Ahlen
Tel.: 02382.6646

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