10 Urteile, die Ihre Leser interessieren könnten
zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Selbständige Geltendmachung von Auskunftsansprüchen
BGH, Beschluss vom 08.07.2025, Az: II ZB 1/25
Der Grundsatz der Gesamtabrechnung aufgelöster Gesellschaften (sog. Durchsetzungssperre) steht der selbständigen Geltendmachung von Auskunftsansprüchen im Rahmen einer Stufenklage nicht entgegen.
II.
Unwirksame Freistellungsklause
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.05.2025, Az.: 5 SLa 249/25
Eine formularmäßige Klausel, die den Arbeitgeber berechtigt, einen Arbeitnehmer ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen innerhalb der Kündigungsfrist freizustellen, verstößt gegen § 307 BGB und ist unwirksam.
IIII.
Faires Verfahren bei verzögerter Entscheidung über einen unvollständig gebliebenen Prozesskostenhilfeantrag
Sächsisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 15. Juli 2025 – 1 Ta 68/24
Hat das Gericht bis zum Ende der Instanz pflichtwidrig nicht über einen in der Klageschrift gestellten Prozesskostenhilfeantrag entschieden, dem die als Anlage in Bezug genommenen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigegeben ist, verbietet es der Anspruch auf ein faires Verfahren, die nachträgliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit dem Argument abzulehnen, der Antrag sei bis zum Abschluss des Verfahrens unvollständig geblieben.
IV.
Handelsregisteranmeldung
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juli 2025 – I-3 W 85/25
1. Wird gesellschaftsvertraglich die allgemeine Vertretungsregelung des/der Geschäftsführer(s) geändert, muss neben der schlagwortartig zu erwähnenden Änderung des Gesellschaftsvertrages zugleich die neue Vertretungsregelung ausdrücklich und inhaltlich gemäß dem einzutragenden Wortlaut wiederholend nach allgemeinen Grundsätzen angemeldet werden.
2. Weicht die Formulierung in der Registeranmeldung von dem exakten Wortlaut der Satzungsänderung ab, ist die Anmeldung nur dann formell ordnungsgemäß, wenn in der Anmeldung stattdessen ein nach allgemeinem Sprachgebrauch zweifelsfrei sinnidentischer Begriff verwendet wird.
3. Das Wort „Geschäftsführer“ und das Wort „Geschäftsführung“ erfüllen diese Voraussetzung nicht.
4. Das materielle Prüfungsrecht des Registergerichts aus § 9c Abs. 1 Satz 1 gilt trotz der systematischen Stellung des § 57a im Gesetz nicht nur für die Kapitalerhöhung, sondern allgemein für Satzungsänderungen. Folglich hat das Registergericht eine angemeldete Eintragung abzulehnen, wenn die geänderte Bestimmung des Gesellschaftsvertrages gegen das Gesetz verstößt.
5. Für die gesetzlich vorgeschriebenen Verlautbarungen, d.h. für die Geschäftsbriefe gemäß § 35a GmbHG und für die Eintragung im Handelsregister, ist die Bezeichnung „Geschäftsführer“ zwingend zu verwenden. Die Bezeichnung „Geschäftsführung“ ist nicht eintragungsfähig.
6. Der vom Gesetzgeber verwendete Begriff „Geschäftsführer“ ist geschlechtsneutral zu verstehen.
V.
Grundbuchfähigkeit eines Idealvereins
OLG Braunschweig, Beschluss vom 11. Juni 2025 – 2 W 47/25
Auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) am 01.01.2024 ist ein Verein ohne Rechtspersönlichkeit grundbuchfähig, so dass es keiner Voreintragung im Vereinsregister bedarf.
VI.
Wohngebäudeversicherung
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 21. Juli 2025 – 16 U 64/24
1.
Die Bestimmung „Das Gebäude ist nicht länger als 6 Monate ununterbrochen unbewohnt“ ist als Gefahrerhöhungstatbestand in einer Deklaration im Versicherungsschein bzw. in den Bedingungen einer Wohngebäudeversicherung im Hinblick auf die Steigerung des Brandrisikos unwirksam. Eine Erhöhung der Brandgefahr kann erst dann bejahen sein, wenn zu dem Leerstehen weitere Umstände hinzukommen.
2.
Steht ein Haus langjährig leer; sind darin erst während der Besitzzeit des Versicherungsnehmers regelmäßig Unbefugte eingedrungen; haben sie sich davon auch nicht durch den wiederholten Verschluss der Türen abhalten lassen; haben sie sich, wie sich aus verbliebenen Überresten erschließt, dort auch länger aufgehalten, befördert auch durch den Umstand, dass in dem Haus Strom vorhanden war; so liegt in einem Brandschadenfall im Hinblick auf die Nichtanzeige eines Versicherungsnehmers, dem all dies bekannt ist, mehr als ein nur mittelgradiges Verschulden vor, das eine Leistungskürzung wegen Nichtanzeige einer Gefahrerhöhung um 60% rechtfertigt.
VII.
AGB Banken
LG Stuttgart, Urteil vom 23. Juli 2025 – 27 O 259/24
Das in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen einer kreditgebenden Bank vorgesehene Pfandrecht der Bank an Vermögensgegenständen des Darlehensnehmers wird nicht dadurch abbedungen, dass der Darlehensvertrag unter dem Text "Der Bank werden in besonderen Urkunden folgende Sicherheiten gestellt" keine Eintragung enthält. Das gilt auch dann, wenn es sich bei dem bezeichneten Passus des Darlehensvertrags ebenfalls um eine Allgemeine Geschäftsbedingung der Bank handelt.
Hat die kreditgebende Bank ihren Darlehensrückzahlungsanspruch abgetreten, so entsteht an dem nach der Abtretung gebildeten Kontoguthaben des Darlehensnehmers bei der Bank weder in der Person der kreditgebenden Bank noch des Zessionars ein Pfandrecht zur Sicherung des Darlehensrückzahlungsanspruchs. Das gilt auch dann, wenn die kreditgebende Bank und der Zessionar sich auf die Abtretung akzessorischer Sicherheiten verständigt haben.
VIII.
Folgenbeseitigungsverpflichtung einer Bank bei Verwendung unwirksamer AGB
OLG Frankfurt, Urteil vom 13. Juni 2025 – 3 U 286/22
Hat die Bank unwirksame AGB verwendet (hier: Verpflichtung zur Zahlung eines Verwahrentgelts bei Verträgen über Spareinlagen) ist sie zur Folgenbeseitigung verpflichtet. Dazu kann es erforderlich sein, die betroffenen Kunden individualisiert per Post oder E-Mail über die Unwirksamkeit der Klausel zu informieren.
IX.
Anspruch eines Kreditinstituts auf Rückzahlung eines ausgegebenen Darlehens
Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 4. Juni 2025 – 4 U 89/24
1.Ein objektiv auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bei Darlehensverträgen, welches eine Vermutung für die subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit begründet, ist regelmäßig zu bejahen, wenn der effektive Vertragszins den marktüblichen Effektivzins relativ um etwa 100 % oder absolut um 12 Prozentpunkte überschreitet (Anschluss BGH Urteil vom 29. November 2011 - XI ZR 220/10).
2. Die in der Widerrufsinformation enthaltene Verweisung auf „alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB“ ist zwar nach europarechtlichen Maßstäben nicht klar und verständlich im Sinne des Art. 247 § 6 Abs. 1 S. 1 EGBGB, jedoch kann sich die Darlehensgeberin auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB berufen, wenn die maßgebliche Widerrufsinformation dem Muster in Anlage 7 zu Art. 247 EGBGB entspricht. Die Widerrufsinformation genügt damit den Anforderungen des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 1 und 2 EGBGB. Eine richtlinienkonforme Auslegung der in Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB angeordneten Gesetzlichkeitsfiktion scheidet angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlautes aus (Anschluss BGH, Urteil vom 27. Februar 2024 - XI ZR 258/22).
3. Gemäß § 488 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer den vereinbarten Geldbetrag zur Verfügung zu stellen. Das zur Verfügung Stellen im Zwei-Personen-Verhältnis bedeutet, dass der Darlehensgegenstand aus dem Vermögen des Darlehensgebers ausgeschieden und dem Vermögen des Darlehensnehmers in der vereinbarten Form endgültig zugeführt ist (Anschluss BGH, Urteil vom 25. April 2006 - XI ZR 193/04). Teilt der Gläubiger dem Schuldner lediglich ein bestimmtes Konto mit, dann hat die Überweisung auf ein anderes Konto grundsätzlich keine Erfüllungswirkung.
X.
Voraussetzungen für auflösende Bedingung einer Finanzierung in Kaufvertrag
OLG Stuttgart, Urteil vom 6. Mai 2025 – 6 U 43/24
1. Ein Kaufvertrag steht unter der auflösenden Bedingung der Finanzierung, wenn eine Leasingklausel in den Vertrag aufgenommen wurde und davon auszugehen ist, dass der Interessent das Fahrzeug ohne Finanzierung nicht hätte erwerben können und wenn unstreitig ist, dass der Interessent erklärte, dass er das Fahrzeug leasen wollte (Anschluss BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 - VIII ZR 222/89 und BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 - VIII ZR 178/13). Denn es wäre dann Sache des Verkäufers gewesen, seinen Willen hinreichend deutlich zu machen, dass der Kaufvertrag auch dann Bestand haben sollte, wenn eine Finanzierung scheitert.
2. Der Interessent verhindert das Zustandekommen einer Finanzierung nicht in treuwidriger Weise, wenn er infolge eines eingetretenen Liquiditätsverlusts infolge des Ausfalls größerer Forderungen nicht mehr in der Lage ist, die mit der Finanzierung verbundenen Belastungen zu tragen. Denn der Interessent war nicht aufgrund des Kaufvertrages gezwungen, ein wirtschaftlich nicht vertretbares Kreditgeschäft abzuschließen.
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht Fachanwalt für Arbeitsrecht
Schriftleiter mittelstandsdepesche
Rechtsanwälte Dr. Gaupp & Coll.
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