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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Urteil vom 22.05.2025 – 5 Sa 284 a/24
Schlagworte/Normen:
Krank durch Tattoo: Keine Entgeltfortzahlung
Volltext Beck PE:
Tä¬to¬wie¬run¬gen gel¬ten längst als Aus¬druck in¬di¬vi¬du¬el¬ler Le¬bens¬ge¬stal¬tung – auch im Be¬rufs¬le¬ben sind sie weit¬ge¬hend ak¬zep¬tiert. Aber: Wer sich frei¬wil¬lig tä¬to¬wie¬ren lässt, muss das Ri¬si¬ko mög¬li¬cher Fol¬gen selbst tra¬gen – auch fi¬nan¬zi¬ell.
Beschäftigte haben im Krankheitsfall grundsätzlich Anspruch auf Entgeltfortzahlung – allerdings nur, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht selbst verschuldet ist. Wer sich freiwillig tätowieren lässt und deshalb krank wird, muss das Risiko selbst tragen. Das hat das LAG Schleswig-Holstein entschieden (Urteil vom 22.05.2025 – 5 Sa 284 a/24).
Eine als Pflegehilfskraft beschäftigte Frau ließ sich ein Tattoo auf dem Unterarm stechen. Kurz darauf entzündete sich die Haut, die Frau wurde für mehrere Tage krankgeschrieben. Ihre Arbeitgeberin verweigerte für diesen Zeitraum die Lohnfortzahlung. Die Pflegehilfskraft argumentierte vor Gericht, sie verlange keine Zahlung für den Zeitpunkt der Tätowierung, sondern für die nachträgliche Entzündung. Diese sei eine seltene Komplikation, die nur in etwa 1 bis 5% der Fälle auftrete. Tattoos seien heute weit verbreitet und Teil der geschützten privaten Lebensführung.
Die Arbeitgeberin hielt dagegen: Wer sich tätowieren lasse, willige in eine Körperverletzung ein. Eine daraus folgende Infektion gehöre nicht zum allgemeinen Krankheitsrisiko, das der Arbeitgeber finanziell tragen müsse.
LAG: Entzündung war vorhersehbar und vermeidbar
Das LAG folgte dieser Ansicht. Zwar sei die Frau arbeitsunfähig gewesen, doch habe sie diesen Zustand selbst verschuldet. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz entfällt der Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers einen groben Verstoß gegen das eigene Gesundheitsinteresse darstellt – etwa, wenn ein verständiger Mensch im eigenen Interesse anders gehandelt hätte.
Die Arbeitnehmerin habe selbst vorgetragen, dass Hautentzündungen nach Tätowierungen in bis zu 5% der Fälle auftreten können, so das Gericht. Diese Wahrscheinlichkeit sei nicht vernachlässigbar und stelle keine außergewöhnliche oder völlig fernliegende Komplikation dar.
Wer ein solches Risiko bewusst eingehe, begehe mit seinem Verhalten einen groben Verstoß gegen sein eigenes Gesundheitsinteresse, so die Richterinnen und Richter. Zur Einordnung verwies das Gericht auf Medikamente: Eine Nebenwirkung wird dort bereits als "häufig" bezeichnet, wenn sie bei mehr als 1%, aber weniger als 10% der Fälle auftritt. Die Revision zum BAG wurde nicht zugelassen.
Siehe:
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/lag-schleswig-holstein-5sa284a24-taetowierungen-arbeitnehmer-arbeitsunfaehig-entgeltfortzahlung
II.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.05.2025, Az.: 5 SLa 249/25
Schlagworte/Normen:
Formularmäßige Freistellungsberechtigung des Arbeitgebers ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen innerhalb der Kündigungsfrist
Leitsatz:
Eine formularmäßige Klausel, die den Arbeitgeber berechtigt, einen Arbeitnehmer ohne Vorliegen weiterer Voraussetzungen innerhalb der Kündigungsfrist freizustellen, verstößt gegen § 307 BGB und ist unwirksam.
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/b9f9a193-6ead-440f-8eb4-432aef873c0d
III.
Hess. Landesarbeitsgericht
Beschl. v. 9.07.2025, Az.: 16 Ta Ta 401/25
Schlagworte/Normen:
§ 2 Absatz Nr. 3a ArbGG
Leitsatz:
Nach § 2 Absatz Nr. 3a ArbGG kommt es für die Verfahrensart des Urteilsverfahrens darauf an, ob der Anspruch auf dem Arbeitsverhältnis beruht. Dies trifft auf die Entfernung von Abmahnungen, die den Vorwurf der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten enthalten, zu (BAG 3.12.2020 -7 AZB 57/20-Rn. 13).
Die zuständige Verfahrensart ergibt sich nicht aus § 2a Abs. 1 Nr. 1 bzw. Nr. 3a ArbGG. Insbesondere ist über den Antrag nicht deshalb im Beschlussverfahren zu unterscheiden, weil sich das Betriebsratsmitglied zur Begründung seines Antrags auch auf das Behinderungsverbot nach §78 BetrVG beruft, das kollektiven Charakter hat (BAG, a.a.O., Rn. 14ff).
Das BAG hat durch die Entscheidung vom 3.12.2020 seine frühere Rechtsprechung (4.12.2013 -7 ABR 7/12) klargestellt.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE250000875
IV.
Hess. Landesarbeitsgericht
Beschl. v. 14.07.2025, Az.: 10 Ta 500/25
Schlagworte/Normen:
§ 1004, 823 BGB, § 17a GVG, §§ 567, 571, 572 ZPO, §§ 11, 62 Abs. 2, 78 ArbGG
Leitsatz:
1. Einem einzelnen Bahnkunden steht kein quasinegatorischer Anspruch gegen eine Gewerkschaft gerichtet auf Unterlassung bestimmter Streikmaßnahmen im Bahnverkehr zu.
2. Wird ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung im Beschlussweg zurückgewiesen, gilt für die Einlegung der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Postulationszwang aus §11 Abs. 4 ArbGG nicht.
3. Wird erst nach Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlussweg eine Rechtswegrüge erhoben, ist auch das Arbeitsgericht nach § 17a Abs.5 GVG an einer erneuten Prüfung der Rechtswegfrage im Abhilfeverfahren nach § 572 ZPO gehindert.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE250000878
V.
Hess. Landesarbeitsgericht
Beschl. v. 15.07.2025, Az.: 12 Ta 424/25
Schlagworte/Normen:
§ 33 RVG, § 99 BetrVG
Leitsatz:
Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung zur Versetzung einer Vielzahl von Arbeitnehmern (vorliegend: 23 betroffene Arbeitnehmer) mit inhaltsgleichen formalen Begründungen (vorliegend: Verstoß gegen eine bestehende GBV Auswahlrichtlinie), ohne dass eine Berücksichtigung von Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar ist, ist es gerechtfertigt, hinsichtlich des Gegenstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit von einem Masseverfahren auszugehen und die Staffung nach Ziffer II.14.7 des Streitwertkatalogs zur Anwendung zu bringen. Dies kann auch gelten, wenn die Versetzungen verschiedene Tätigkeiten, Zeiträume oder Orte betreffen und nicht auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückgehen. Dies Umstände des Einzelfalls sind entscheidend.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE250000877
VI.
Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss vom 16.06.2025 – 5 Ta 58/25 – veröffentlicht am 21.07.2025
Schlagworte/Normen:
DFB-Schiedsrichter können vor Arbeitsgerichten klagen
Volltext PE:
Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln hat in einer nunmehr veröffentlichten Entscheidung vom 16.06.2025 beschlossen, dass für Schiedsrichter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist.
Ein 28-jähriger Schiedsrichter machte Entschädigungs- und Schadensersatzanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz geltend, weil er wegen seines Alters nicht für die sog. Schiedsrichterliste der 3. Liga des DFB vorgeschlagen wurde. Die Beklagte bestritt die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte mit der Begründung, dass selbst im Fall der Aufnahme in die Schiedsrichterliste kein Arbeitsverhältnis begründet worden wäre. Das Arbeitsgericht Bonn verwies die Klage an das Landgericht Frankfurt, da der Kläger seine Tätigkeit als Schiedsrichter weder weisungsgebunden noch fremdbestimmt ausübe und somit kein Arbeitnehmer sei.
Demgegenüber kam das Landesarbeitsgericht Köln zu der Auffassung, das vom Kläger angestrebte Rechtsverhältnis sei als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren. Zwar sehe der als Rahmenvertrag ausgestaltete DFB-Mustervertrag keine unmittelbaren Verpflichtungen für die Vertragspartner vor. Die vertraglichen Regelungen seien jedoch nicht isoliert, sondern in Verbindung mit der Schiedsrichterordnung des DFB zu betrachten.
Insbesondere folge daraus, dass ein Schiedsrichter seine Einsätze nicht unbegründet absagen dürfe, die Beklagte jedoch dessen Einteilung ohne Begründung unterlassen könne. Dies spreche für eine persönliche Abhängigkeit des Klägers von der Beklagten. Ferner seien die Verpflichtung zur höchstpersönlichen Leistungserbringung sowie die faktische Monopolstellung des DFB in diesem Bereich als Indizien für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis zu würdigen. Der Frage, ob der Kläger fachlichen Weisungen unterliege, komme insoweit keine ausschlaggebende Bedeutung zu.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Das LAG Köln hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/presse/2025-07-21
Neu eingestellte Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein:
EinstelldatumAktenzeichenGerichtSchlagworteDatei
04/07/20255 Sa 284 a/24LAG Schleswig-HolsteinErkrankung, Entgeltfortzahlung, keine Entgeltfortzahlung, Verschulden, Tätowierung, KomplikationUrteil-5-Sa-284 a-24-22-05-25.pdf
(342.3 KB)
28/05/20251 TaBV 11/24LAG Schleswig-HolsteinBetriebsrat, Zustimmungsersetzung, Umgruppierung, Sachbearbeiterin IT-Einkauf, Hafenbetrieb, Arbeitsvorgang, einheitlicher Arbeitsvorgang, gründliche und vielseitige Fachkenntnisse, selbständige LeistungenBeschluss-1-TaBV-11-24-11-02-2025.pdf
(322.7 KB)
Sonstiges:
I.
Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht
Urteil v. 24.06.2025, Az.: 7 U 197/22
Schlagworte/Normen:
Zur Auslegung eines Vorbehalts in einer Abfindungsvereinbarung und zur verjährungsrechtlich maßgeblichen Kenntnis eines Piloten von einer möglichen künftigen Berufsunfähigkeit
Leitsatz:
1. In einer Abfindungsvereinbarung, die einen Vorbehalt hinsichtlich möglicher künftiger Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit enthält, liegt ohne Hinzutreten weiterer Umstände weder ein konstitutives Schuldanerkenntnis noch ein Verjährungsverzicht.
2. Für die Beurteilung, ob bei einem Berufspiloten, der bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde (HWS-Verletzung), künftig eine unfallbedingte Berufsunfähigkeit droht, kommt es nicht auf die fliegerärztliche Einschätzung der aktuellen Flugtauglichkeit an.
3. Die für den Verjährungsbeginn gemäß § 199 Abs. 1 Nr.2 BGB maßgebliche Kenntnis liegt jedenfalls dann vor, wenn der behandelnde Hausarzt „die Ausübung seines Berufs als Pilot als gefährdet“ einschätzt und auf Grundlage dieser Einschätzung Ansprüche gegenüber der gegnerischen Haftpflichtversicherung geltend gemacht werden.
Siehe:
https://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/bssh/document/NJRE001612144
II.
Bundesgerichtshof
Urteil vom 8. Mai 2025 - IX ZR 90/23 – veröffentlicht am 25.07.2025
Schlagworte/Normen:
RVG § 3a Abs. 3 Satz 1 (Vergütungsvereinbarung)
Leitsatz:
RVG § 3a Abs. 3 Satz 1
a) Die Vergütungsvereinbarung bestimmt, auf welche Tätigkeiten und welche Angelegenheiten die Prüfung der unangemessenen Höhe der Vergütung zu beziehen ist. Danach richtet sich, ob von einer einheitlichen Vergütungsvereinbarung erfasste anwaltliche Tätigkeiten, die jeweils den Gegenstand eines selbständigen Anwaltsdienstvertrags bilden können, für die Prüfung der Angemessenheit der Vergütung getrennt von anderen nach der Vergütungsvereinbarung erfassten Aufträgen zu betrachten sind. Wurde der Rechtsanwalt mit anwaltlichen Tätigkeiten betraut, die üblicherweise den Gegenstand eines selbständigen Anwaltsdienstvertrags bilden, ist grundsätzlich auf die hierfür ausgeübten Tätigkeiten, den darauf entfallenden Teil der Vergütung nach der Vergütungsvereinbarung sowie die hierfür fiktiv anfallenden gesetzlichen Gebühren abzustellen.
b) Die tatsächliche Vermutung, dass ein vereinbartes Honorar unangemessen hoch ist, welches die gesetzlichen Gebühren um mehr als das Fünffache übersteigt, gilt auch bei Vereinbarung eines Zeithonorars für zivilrechtliche Streitigkeiten.
c) Bei der Herabsetzung einer unangemessen hohen Vergütung auf den angemessenen Betrag ist dem von den Parteien gewählten Vergütungsmodell Rechnung zu tragen. Ein von den Parteien vereinbartes Zeithonorar kann nicht durch Kappung des Honoraranspruchs auf einen Pauschalbetrag der Sache nach in ein Pauschalhonorar umgestaltet werden.
Siehe:
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&Seite=0&nr=142379&anz=1080&pos=6
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident
VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V.
Gerokstr. 8 70188 Stuttgart
Telefon: (0711) 3058 9320Telefax: (0711) 3058 9311
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