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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss vom 24.02.2025 – 10 Ta 299/24
Schlagworte/Normen:
§ 5 Abs. 3 ArbGG, § 84 Abs. 1, 92a Abs. 1 HGB
Leitsatz:
1. Für die Annahme, ein Handelsvertreter sei als sog. „Einfirmenvertreter kraft Vertrags“ i.S.d. § 92a Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB tätig, reicht es nicht aus, dass er durch ein branchenbezogenes Konkurrenzverbot in seiner Tätigkeit beschränkt ist, weil eine derartige vertragliche Absprache ihn nicht daran hindert, für Unternehmer eines anderen Wirtschaftszweigs tätig zu werden.
2. Für die Annahme, dass von einer „Handelsvertretertätigkeit kraft Weisung“ ausgegangen werden kann, muss nicht nur zu den erbrachten Tätigkeiten konkret vorgetragen werden, sondern auch, dass diese Arbeiten dem Handelsvertreter von dem Unternehmer auferlegt worden sind. Pauschale und schlagwortartige Beschreibungen reichen nicht aus.
3. Ob die Handelsvertretertätigkeit im Neben- oder Hauptberuf ausgeübt wird, ist irrelevant.
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE250000249
II.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteile vom 11.02.2025 – Az.: 5 LC 193/20 und Az.: 5 LC 4/21
Schlagworte/Normen:
Klage auf finanziellen Ausgleich von Zuvielarbeit eines früheren niedersächsischen Grundschulrektors erfolgreich
Volltext PE:
Der 5. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 11. Februar 2025 das Land Niedersachsen verurteilt, einem früheren Grundschulrektor für die von November 2017 bis einschließlich Juli 2022 geleistete Zuvielarbeit einen finanziellen Ausgleich in Höhe von ca. 31.000 Euro zu zahlen (Az.: 5 LC 193/20). Die Klage einer ehemaligen Grundschulrektorin auf finanziellen Ausgleich von Zuvielarbeit hatte demgegenüber keinen Erfolg (Az.: 5 LC 4/21).
Die Kläger sind der Auffassung, bei ihren früheren Tätigkeiten dauerhaft über die regelmäßig geschuldete wöchentliche Arbeitszeit hinaus dienstlich in Anspruch genommen worden zu sein. Der ehemalige Grundschulrektor hatte an der „Niedersächsischen Arbeitszeitstudie Lehrkräfte an öffentlichen Schulen 2015/2016“ teilgenommen, nach der sich für ihn eine wöchentliche Zuvielarbeit von durchschnittlich mehr als 8 Stunden ergeben hatte.
Der 5. Senat hat heute entschieden, dass der frühere Grundschulrektor Zuvielarbeit geleistet hat und ihm dafür ein Ausgleichsanspruch zusteht. Das vom Niedersächsischen Kultusministerium eingesetzte Expertengremium Arbeitszeitanalyse habe im Oktober 2018 die im Rahmen der Arbeitszeitstudie 2015/2016 erhobenen Daten als valide und repräsentativ bewertet und daraus eine strukturelle Zuvielarbeit unter anderem im Grundschulbereich abgeleitet. Das Kultusministerium habe sich die Ergebnisse des Expertengremiums zu eigen gemacht, wirksame Entlastungsmaßnahmen von Gewicht könnten im Nachgang aber nicht festgestellt werden. Dem klagenden ehemaligen Grundschulrektor seien allerdings nicht die von ihm geltend gemachten 8 Stunden und 42 Minuten, sondern lediglich eine individuelle wöchentliche Zuvielarbeit von 5 Stunden und 48 Minuten auszugleichen. Denn ein Teil der Zuvielarbeit im Grundschulbereich sei entsprechend den Wertungen des Expertengremiums auf Organisationsdefizite oder ein überobligatorisches Engagement der Lehrkräfte zurückzuführen.
Die Klage der früheren Grundschulrektorin hatte hingegen keinen Erfolg, weil sie mangels entsprechender Aufzeichnungen eine individuelle Zuvielarbeit nicht ausreichend habe belegen können.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hat der Senat jeweils nicht zugelassen. Dagegen kann innerhalb eines Monats nach Zustellung der Urteile Beschwerde eingelegt werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Siehe:
https://oberverwaltungsgericht.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/klage-auf-finanziellen-ausgleich-von-zuvielarbeit-eines-fruheren-niedersachsischen-grundschulrektors-erfolgreich-239481.html
III.
Verwaltungsgericht Aachen
Urteil vom 10.03.2025 – Az.: 1 K 1304/23
Schlagworte/Normen:
Bewerber für die Bundespolizei darf nicht wegen eines Gendefekts vom Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden
Volltext PE:
Ein Aachener Bewerber um die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugdienst kann verlangen, nicht wegen eines genetisch bedingten erhöhten Thromboserisikos vom Bewerbungsverfahren der Bundespolizei ausgeschlossen zu werden. Bei der beim Kläger diagnostizierten sog. Faktor-V-Leiden-Mutation handelt es sich um einen angeborenen Gendefekt, bei dem es zu Störungen der Blutgerinnung kommt und der mit einem erhöhten Thromboserisiko einhergeht. Die Entscheidung der Bundespolizeiakademie, die Bewerbung des Klägers um die Einstellung in den mittleren Polizeivollzugsdienst im Jahr 2023 aufgrund fehlender gesundheitlicher Eignung nicht zu berücksichtigen, hatte vor dem Verwaltungsgericht keinen Bestand. Über die Bewerbung des Klägers muss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden werden.
Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass es bereits in erheblichem Maße zweifelhaft ist, ob hinreichende sachliche Gründe für den Ausschluss von Beamten mit einem solchen Gendefekt bestehen. Denn das durch eine solche Mutation bedingte Thromboserisiko ist verhältnismäßig gering. In der beim Kläger vorliegenden Form ist es zwar gegenüber gesunden Menschen erhöht, entspricht jedoch ungefähr dem Thromboserisiko durch die Einnahme der Antibabypille bei Frauen und damit einem Risiko, das der Dienstherr als hinnehmbar ansieht. Unabhängig davon durfte der Gendefekt nicht zu Lasten des Klägers im Einstellungsverfahren berücksichtigt werden, weil er aufgrund einer genetischen Untersuchung diagnostiziert wurde. Die Mitteilung des diesbezüglichen Ergebnisses durfte die Bundespolizei aus Rechtsgründen nicht verlangen.
Die Beklagte kann die Zulassung der Berufung gegen das Urteil beantragen. Über diesen Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht in Münster.
Siehe:
https://www.justiz.nrw.de/presse/2025-03-10
IV.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 11. März 2025 – 3 AZR 53/24
Schlagworte/Normen:
Arbeitgeberzuschuss zu Entgeltumwandlung – Tariföffnung
Volltext PE:
Von den gesetzlichen Regelungen zur Entgeltumwandlung (§ 1a BetrAVG) einschließlich des Anspruchs auf einen Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG kann gemäß § 19 Abs. 1 BetrAVG* auch in Tarifverträgen abgewichen werden, die bereits vor Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes am 1. Januar 2018 geschlossen wurden.
Der Kläger ist seit 1995 als Sachbearbeiter bei dem beklagten Kreis beschäftigt. Kraft beidseitiger Tarifbindung finden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes der Kommunen (TV-VKA) Anwendung. Zu diesen Tarifverträgen gehört der Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer/-innen im Kommunalen öffentlichen Dienst vom 1. Januar 2003 (TV-EUmw/VKA).
Der Kläger verlangt von dem Beklagten, für ihn monatlich einen Arbeitgeberzuschuss iHv. 15 vH des umgewandelten Entgelts in die von ihm abgeschlossenen Altersversorgungsverträge einzuzahlen. Er hat gemeint, der TV-EUmw/VKA sei keine abweichende Regelung iSv. § 19 Abs. 1 BetrAVG. Der Anspruch auf Zahlung eines Zuschusses aus § 1a Abs. 1a BetrAVG könne gemäß § 19 Abs. 1 BetrAVG nicht durch eine tarifvertragliche Regelung zur Entgeltumwandlung ausgeschlossen werden, die bereits vor Inkrafttreten der Regelung bestanden habe. Zudem bedinge der TV-EUmw/VKA nicht allein dadurch den Anspruch aus § 1a Abs. 1a BetrAVG ab, dass er keinen solchen Zuschuss vorsehe. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben.
Die Revision des Beklagten war vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts erfolgreich. Die Auslegung von § 19 Abs. 1 BetrAVG ergibt, dass von § 1a BetrAVG abweichende Regelungen auch in vor dem Inkrafttreten des Ersten Betriebsrentenstärkungsgesetzes geschlossenen Tarifverträgen enthalten sein können. Mit den Regelungen des TV-EUmw/VKA liegt eine solche von § 1a BetrAVG abweichende Regelung im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrAVG vor. Es bedarf weder einer konkreten oder ausdrücklichen Abbedingung des Zulagenanspruchs aus § 1a Abs. 1a BetrAVG im Tarifvertrag noch einer hierauf bezogenen oder sonstigen Kompensation.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/arbeitgeberzuschuss-zu-entgeltumwandlung-tarifoeffnung-2/
V.
Hessisches Landesarbeitsgericht
Beschluss vom 10.03.2025 – 12 Ta 25/25
Schlagworte/Normen:
§ 33 RVG
Leitsatz:
Anträge auf ordnungsgemäße Durchführung einer Betriebsvereinbarung und/oder Unterlassung von Maßnahmen, die einer Betriebsvereinbarung widersprechen, sind mit nicht mehr als einem Hilfswert zu bemessen, soweit nicht besondere Anhaltspunkte eine Erhöhung rechtfertigen. Dies folgt aus den Empfehlungen des Streitwertkatalogs vom 01. Februar 2024, da dort für den größtmöglichen Streit, nämlich den um die Wirksamkeit/Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung, aufgezeigt ist, dass eine Erhöhung auf den doppelten Hilfswert erfolgen kann (nicht muss!).
Leistungs- und Unterlassungsanträge, die sich auf die ordnungsgemäße Durchführung einer Betriebsvereinbarung und auf die Unterlassung von Maßnahmen, die dieser Betriebsvereinbarung widersprechen beziehen, dürften regelmäßig wirtschaftlich identisch sein (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).
Siehe:
https://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE250000309
VI.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 19. März 2025 – 10 AZR 67/24
Schlagworte/Normen:
Verfall von virtuellen Optionsrechten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Volltext PE:
Bestimmt eine Verfallklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass zugunsten des Arbeitnehmers „gevestete“ virtuelle Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung sofort verfallen, benachteiligt diese den Arbeitnehmer unangemessen (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Das Gleiche gilt für eine Klausel, die vorsieht, dass die „gevesteteten“ virtuellen Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der sog. „Vesting-Periode“ entstanden sind.
Der Kläger war vom 1. April 2018 bis zum 31. August 2020 bei der Beklagten beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristgerechte Eigenkündigung. Im Jahr 2019 erhielt der Kläger ein Angebot auf Zuteilung von 23 virtuellen Optionsrechten (sog. „Allowance Letter“), das er durch gesonderte Erklärung annahm. Nach den Bestimmungen für Mitarbeiter-Aktienoptionen (Employee Stock Option Provisions „ESOP“) setzt die Ausübung der virtuellen Optionen, die zu einem Zahlungsanspruch gegen die Beklagte führen kann, deren Ausübbarkeit nach Ablauf einer Vesting-Periode und ein sog. Ausübungsereignis wie einen Börsengang voraus. Dabei werden die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen nach einer Mindestwartezeit von zwölf Monaten innerhalb einer Vesting-Periode von insgesamt vier Jahren gestaffelt ausübbar. Die Vesting-Periode wird ausgesetzt, wenn und solange der Arbeitnehmer von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung ohne Gehaltsanspruch entbunden ist. Nach Nr. 4.2 ESOP verfallen bereits ausübbare („gevestete“), aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen unter anderem, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers endet. Im Übrigen verfallen „gevestete“, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionen nach Nr. 4.5 ESOP sukzessiv innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren nach Ende des Arbeitsverhältnisses. Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers waren 31,25 % der ihm zugeteilten Optionsrechte „gevestet“. Mit Schreiben vom 2. Juni 2022 machte der Kläger seinen Anspruch auf diese virtuellen Optionen geltend. Die Beklagte lehnte den Anspruch unter Hinweis auf den Verfall der Optionsrechte ab.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die ihm zugeteilten und „gevesteten“ virtuellen Optionen seien nicht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, da die Verfallklauseln unwirksam seien. Die Optionen seien essenzieller Bestandteil des Vergütungspakets gewesen. Er habe die Ausübbarkeit der Optionen durch die Erbringung der Arbeitsleistung in der Vesting-Periode erarbeitet und damit der Anreizfunktion genügt. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die virtuellen Optionsrechte seien verfallen. Zweckrichtung der virtuellen Optionen sei die Belohnung der Betriebstreue bis zum Eintritt eines Ausübungsereignisses. Es handle sich lediglich um eine Verdienstchance, so dass bei einem Verfall kein erdienter Lohn entzogen werde.
Die Vorinstanzen haben die vom Kläger erhobene Feststellungsklage abgewiesen. Seine Revision hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg.
Die „gevesteten“ virtuellen Optionen sind nicht verfallen. Bei den Bestimmungen über das Mitarbeiterbeteiligungsprogramm handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfenden Verfallklauseln halten einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand. Die durch teilweisen Ablauf der Vesting-Periode „gevesteten“ virtuellen Optionen stellen auch eine Gegenleistung für die vom Kläger in dieser Zeit im aktiven Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung dar. Dies folgt insbesondere aus der in den ESOP enthaltenen Regelung zur Aussetzung der Vesting-Periode in Zeiten, in denen der Arbeitnehmer keinen Entgeltanspruch erwirbt. Der sofortige Verfall „gevesteter“ Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt die Interessen des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits erbracht hat, nicht angemessen und steht dem Rechtsgedanken des § 611a Abs. 2 BGB entgegen. Außerdem stellt dies eine unverhältnismäßige Kündigungserschwerung dar, da der Optionsberechtigte zur Vermeidung einer möglichen Vermögenseinbuße das Arbeitsverhältnis vor einem ungewissen Ausübungsereignis nicht kündigen dürfte. Soweit der Senat in einer älteren Entscheidung (BAG 28. Mai 2008 – 10 AZR 351/07 -) den sofortigen Verfall bereits „gevesteter“ Optionen, die während des Arbeitsverhältnisses noch nicht ausgeübt werden konnten, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für zulässig gehalten hat, hält er daran nicht mehr fest. Auch die Klausel unter Nr. 4.5 ESOP benachteiligt den ausscheidenden Arbeitnehmer bei typisierender Betrachtung unangemessen. Sie reflektiert durch den graduellen Verfall der Optionen zwar, dass dessen Einfluss auf den Unternehmenswert mit der Zeit abnimmt; sie lässt jedoch – ausgehend von der hier geregelten Vesting-Periode von vier Jahren und der enthaltenen Mindestwartezeit von einem Jahr – zu, dass die dem Arbeitnehmer zugeteilten virtuellen Optionen doppelt so schnell verfallen, wie sie „gevestet“ sind. Damit lässt sie die Zeit, die der Arbeitnehmer durch Erbringung seiner Arbeitsleistung in der Vesting-Periode für die ausübbaren Optionsrechte aufgewandt hat, unberücksichtigt, ohne dass die kürzere Verfallfrist durch entgegenstehende Interessen des Arbeitgebers gerechtfertigt ist.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/verfall-von-virtuellen-optionsrechten-nach-beendigung-des-arbeitsverhaeltnisses/
VII.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 20. März 2025 – 7 AZR 46/24
Schlagworte/Normen:
Vergütung (freigestellter) Betriebsratsmitglieder - Darlegungs- und Beweislast
Volltext PE:
Nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) haben Mitglieder des Betriebsrats Anspruch auf Erhöhung ihres Arbeitsentgelts in dem Umfang, in dem das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung steigt (§ 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG*). Für das Vorliegen der Voraussetzungen dieses Anspruchs ist grundsätzlich das Betriebsratsmitglied darlegungs- und beweisbelastet. Korrigiert der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, die sich für das Betriebsratsmitglied als Anpassung seines Entgelts entsprechend § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte, hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass die Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war.
Der Kläger ist seit 1984 bei der Beklagten, einer Automobilherstellerin, beschäftigt. Er war als Anlagenführer tätig und wurde nach den einschlägigen (firmen-)tarifvertraglichen Regelungen entsprechend der sog. Entgeltstufe (ES) 13 vergütet. Seit 2002 ist er Mitglied des Betriebsrats und von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt. Anfang 2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sein Arbeitsentgelt werde entsprechend der mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung gemäß § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG der ES 14 angepasst. In der Folgezeit erhielt der Kläger ähnlich lautende Anpassungsmitteilungen hinsichtlich der jeweils nächsthöheren Entgeltstufe und bezog ab 1. Januar 2015 eine Vergütung nach ES 20. Im Oktober 2015 wurde ihm eine freie Stelle als Fertigungskoordinator angetragen, für die er intern als „Idealbesetzung“ galt. Aufgrund seiner Betriebsratstätigkeit bewarb sich der Kläger nicht.
Im Nachgang zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Januar 2023 – 6 StR 133/22 – überprüfte die Beklagte die Vergütungen freigestellter Betriebsratsmitglieder. Beim Kläger erachtete sie eine Vergütung nach ES 18 als zutreffend und forderte für Oktober 2022 bis Januar 2023 die über die ES 18 hinaus gezahlte Vergütung zurück. Im Februar 2023 erhielt der Kläger Entgelt nach ES 17, seit März 2023 auf Grundlage von ES 18.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Vergütungsdifferenzen, den zurückgezahlten Betrag sowie die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 2015 nach den jeweils geltenden tarifvertraglichen und betrieblichen Regelungen für Beschäftigte in der ES 20 durchzuführen. Er hat sich neben den Anpassungsmitteilungen der Beklagten auch darauf berufen, eine Vergütung nach ES 20 entspreche seiner hypothetischen Karriere zu einer Tätigkeit als Fertigungskoordinator.
Das Landesarbeitsgericht hat den Zahlungsanträgen im Wesentlichen stattgegeben und nach der begehrten Feststellung – allerdings erst ab 1. Januar 2016 – erkannt. Es ist davon ausgegangen, der Kläger habe zwar keinen Anspruch auf Vergütung nach ES 20 gemäß § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG (Vergütungsanpassung), wohl aber nach § 78 Satz 2 BetrVG** iVm. § 611a Abs. 2 BGB (fiktiver Beförderungsanspruch). Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, während der Kläger mit seiner Revision die teilweise Abweisung seines Feststellungsantrags angreift.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg und führte zu einer Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dagegen hatte die Revision des Klägers schon deshalb keinen Erfolg, weil sein Feststellungsbegehren unzulässig ist. Ob seine Zahlungsanträge begründet sind, konnte das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend beurteilen. Das Landesarbeitsgericht hat bei dem hauptsächlich zur Entscheidung gestellten Anpassungsanspruch nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG die Darlegungs- und Beweislast bei dem Kläger gesehen. Ermittelt jedoch – wie vorliegend – der Arbeitgeber eine für das Betriebsratsmitglied ersichtlich auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gestützte Vergütungsanpassung, teilt diese dem (freigestellten) Betriebsratsmitglied mit und zahlt eine dementsprechende Vergütung, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für deren objektive Fehlerhaftigkeit, wenn er im Nachhinein die Bemessung des Arbeitsentgelts korrigiert.
Erst wenn die Beklagte die Fehlerhaftigkeit der Vergütungsanpassung darzulegen und ggf. zu beweisen vermag, wird das Landesarbeitsgericht über die Zahlungsanträge aufgrund des hilfsweise erhobenen Anspruchs des Klägers infolge des Verbots einer Benachteiligung bei seiner beruflichen Entwicklung zu befinden haben. Aus § 78 Satz 2 BetrVG kann sich iVm. § 611a Abs. 2 BGB ein unmittelbarer Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt. Dieser bildet einen eigenständigen prozessualen Anspruch (Streitgegenstand); § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG enthält insoweit keine abschließende Regelung über die Höhe des Arbeitsentgelts des Amtsträgers. Diese Maßgabe ist mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 2023 – 6 StR 133/22 – nicht in Frage gestellt.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/verguetung-freigestellter-betriebsratsmitglieder-darlegungs-und-beweislast/
VIII.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 27. März 2025 – 8 AZR 63/24
Schlagworte/Normen:
Wettbewerbsverbot - Berechnung der Karenzentschädigung - virtuelle Aktienoptionen
Volltext PE:
In die Berechnung einer Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nach §§ 74 ff. HGB fließen auch Leistungen aus einem virtuellen Aktienoptionsprogramm ein. Das gilt jedoch nur, wenn die Optionsrechte im noch bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübt worden sind.
Der Kläger war ab dem 1. Oktober 2019 bei der Beklagten mit einem festen Bruttojahresentgelt von 100.000,00 Euro beschäftigt. Zwischen den Parteien war ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot iSv. §§ 74 ff. HGB vereinbart. Die Beklagte teilte dem Kläger virtuelle Aktienoptionen zu, die grundsätzlich keinen Anspruch auf Übertragung von Aktien, sondern auf eine Zahlung in Geld begründeten. Die virtuellen Optionsrechte mussten zunächst durch Arbeitsleistung während einer „Vesting Period“ über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren schrittweise „erdient“ werden. Nach Ablauf der „Vesting Period“ konnten die Optionen unter der Voraussetzung ausgeübt werden, dass ein Ausübungsereignis in Form eines Share Deals, Asset Deals oder eines Börsengangs eintrat. Nach dem Eintritt eines solchen Ereignisses im September 2021 übte der Kläger bereits erdiente („gevestete“) Optionsrechte aus. Die Beklagte rechnete diese Optionen im Oktober 2021 mit 161.394,79 Euro brutto ab. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund eines Aufhebungsvertrags zum 30. Juni 2022. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses übte der Kläger weitere Optionsrechte aus, die die Beklagte im Oktober 2022 mit 17.706,32 Euro brutto abrechnete.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sämtliche Leistungen der Beklagten aufgrund von virtuellen Aktienoptionen seien in die Berechnung der Karenzentschädigung für das nachvertragliche Wettbewerbsverbot einzubeziehen. Die Vorinstanzen haben nur die im laufenden Arbeitsverhältnis von der Beklagten erbrachten Leistungen aus dem Programm über virtuelle Aktienoptionen bei der Berechnung der Karenzentschädigung einbezogen, nicht dagegen diejenigen, die nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses erbracht worden sind.
Die dagegen gerichteten Revisionen des Klägers und der Beklagten hatten vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die von der Beklagten im laufenden Arbeitsverhältnis erbrachten Leistungen aus dem Programm über virtuelle Aktienoptionen gehören zu den vom Kläger zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen nach § 74 Abs. 2 HGB* in Form von wechselnden Bezügen iSv. § 74b Abs. 2 HGB**. Sie stellen eine Gegenleistung für die vom Kläger im Arbeitsverhältnis erbrachte Arbeitsleistung dar. Bei der Berechnung der Karenzentschädigung sind sie nach § 74b Abs. 2 HGB mit dem Durchschnitt der letzten drei Jahre bzw. der Dauer des Bestehens der maßgebenden Vertragsbestimmung – vorliegend 33 Monate – in Ansatz zu bringen. Entscheidend ist dabei, dass die Optionsrechte während des bestehenden Arbeitsverhältnisses im Zeitraum des § 74b Abs. 2 HGB ausgeübt worden sind. Dagegen fallen Leistungen der Beklagten aufgrund der Ausübung von Optionsrechten nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht unter die zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen iSv. § 74 Abs. 2 HGB. Sie sind daher nicht in die Berechnung der Karenzentschädigung einzubeziehen.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/wettbewerbsverbot-berechnung-der-karenzentschaedigung-virtuelle-aktienoptionen/
IX.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 3. April 2025 – 2 AZR 156/24
Schlagworte/Normen:
Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen - nachträgliche Klagezulassung
Volltext PE:
Erlangt eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG* Kenntnis von einer beim Zugang des Kündigungsschreibens bereits bestehenden Schwangerschaft, ist die verspätete Kündigungsschutzklage auf ihren Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG** nachträglich zuzulassen.
Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2022. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 14. Mai 2022 zu. Am 29. Mai 2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest mit einem positiven Ergebnis durch. Sie bemühte sich sofort um einen Termin beim Frauenarzt, den sie aber erst für den 17. Juni 2022 erhielt. Am 13. Juni 2022 hat die Klägerin eine Kündigungsschutzklage anhängig gemacht und deren nachträgliche Zulassung beantragt. Am 21. Juni 2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis beim Arbeitsgericht ein, das eine bei ihr am 17. Juni 2022 festgestellte Schwangerschaft in der „ca. 7 + 1 Schwangerschaftswoche“ bestätigte. Ihr Mutterpass wies als voraussichtlichen Geburtstermin den 2. Februar 2023 aus. Danach hatte die Schwangerschaft am 28. April 2022 begonnen (Rückrechnung vom mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage).
Die Klägerin hat gemeint, die Kündigungsschutzklage sei gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei nicht einschlägig. Die Klägerin habe durch den positiven Test binnen der offenen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von der Schwangerschaft erlangt. Beide Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Die streitbefangene Kündigung ist wegen Verstoßes gegen das Kündigungsverbot aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG unwirksam. Das Gegenteil wird nicht nach § 7 Halbs. 1 KSchG fingiert. Zwar hat die Klägerin mit der Klageerhebung am 13. Juni 2022 die am 7. Juni 2022 abgelaufene Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht gewahrt. Diese Frist ist zwar mit dem Zugang des Kündigungsschreibens angelaufen. Der Fristbeginn richtete sich nicht nach § 4 Satz 4 KSchG*, denn die Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt keine Kenntnis von der seinerzeit bereits bestandenen Schwangerschaft der Klägerin. Die verspätet erhobene Klage war jedoch gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Die Klägerin hat aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grund erst mit der frühestmöglichen frauenärztlichen Untersuchung am 17. Juni 2022 positive Kenntnis davon erlangt, dass sie bei Zugang der Kündigung am 14. Mai 2022 schwanger war. Der etwas mehr als zwei Wochen danach durchgeführte Schwangerschaftstest vom 29. Mai 2022 konnte ihr diese Kenntnis nicht vermitteln. In der vom Senat vorgenommenen Auslegung genügt das bestehende System der §§ 4, 5 KSchG und des § 17 Abs. 1 MuSchG den Vorgaben der Richtlinie 92/85/EWG, wie sie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Sache „Haus Jacobus“ (EuGH 27. Juni 2024 – C-284/23 -) herausgearbeitet hat.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/sonderkuendigungsschutz-fuer-schwangere-arbeitnehmerinnen-nachtraegliche-klagezulassung/
X.
Hessisches Landessozialgericht
Urteile vom 3. April 2025 – L 8 BA 4/22, L 8 BA 62/22 und L 8 BA 64/21
Schlagworte/Normen:
Einfache Arbeiten auf dem Bau sind grundsätzlich keine selbstständige Tätigkeit
Volltext PE:
Bauarbeiter, die auf Baustellen einfache Arbeiten verrichten, einen festen Stundenlohn erhalten und am Markt nicht erkennbar unternehmerisch auftreten, sind regelmäßig abhängig Beschäftigte, für welche die Baufirmen Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten haben. Dies entschied in drei heute veröffentlichten Urteilen der 8. Senat des Hessischen Landessozialgerichts.
Baufirmen aus dem Rhein-Main-Gebiet müssen Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen
Die Deutschen Rentenversicherung entschied in mehreren Fällen, dass Bauarbeiter abhängig beschäftigt sind. In zwei Fällen forderte sie nach entsprechenden Betriebsprüfungen von den im Rhein-Main-Gebiet ansässigen Baufirmen Sozialversicherungsbeiträgen in fünfstelliger Höhe. In einem weiteren Verfahren hatte sie zunächst über den Antrag auf Statusfeststellung zu entscheiden.
In diesen Fällen hatten angeblich selbstständige Werkunternehmer auf Baustellen der jeweils klagenden Baufirma gearbeitet. Bei diesen Bauarbeitern handelte es sich um ausländische Staatsangehörige mit allenfalls geringen Deutschkenntnissen. Sie erledigten Abbrucharbeiten, Maurertätigkeiten und Pflasterarbeiten, sanierten Bäder oder arbeiteten im Trockenbau. Schriftliche Verträge oder Auftragsbestätigungen gab es nicht. Die Abrechnungen erfolgten auf Basis der aufgeschriebenen Stunden bei einem Stundenlohn zwischen 10 € und15 €. Die Materialien und Werkzeuge wurden bis auf Kleinwerkzeuge von den jeweiligen Baufirmen gestellt.
Scheinselbstständige statt Werkunternehmer
Die Richter folgten der Einschätzung der Rentenversicherung. In allen drei Verfahren liege Scheinselbständigkeit vor. Bei einfachen, typischen Arbeitnehmerverrichtungen, die der Beschäftigte im Wesentlichen ohne den Einsatz eigener Betriebsmittel im Einwirkungsbereich des Beschäftigenden ausübe, spreche die Vermutung für ein weisungsgebundenes Beschäftigungsverhältnis. Die betroffenen Bauarbeiter seien jeweils in den Betrieb der klagenden Baufirma eingegliedert gewesen und hätten einfache Bauarbeiten getätigt, wie sie typischerweise abhängig Beschäftigte verrichteten. Werkvertragstypische Vereinbarungen einer unternehmerischen Leistung hätten nicht festgestellt werden können. Zudem seien die angeblichen „Werkunternehmer“ schon aufgrund ihrer geringen Deutschkenntnisse zu einem unternehmerischen Auftreten am Markt nicht in der Lage gewesen. Zwischen den Baufirmen und den Bauarbeitern getroffene Vereinbarungen über eine (angeblich) selbstständige Tätigkeit seien nicht relevant und könnten die gesetzlich angeordnete Sozialversicherungspflicht nicht ausschließen.
(Az. L 8 BA 4/22, L 8 BA 62/22 und L 8 BA 64/21 – Revision wurde nicht zugelassen.
Siehe:
https://sozialgerichtsbarkeit.hessen.de/presse/bauarbeiter-regelmaessig-abhaengig-beschaeftigt
XI.
Bundesarbeitsgericht
Urteil vom 16. April 2025 – 10 AZR 80/24
Schlagworte/Normen:
Provisionsanspruch – Kryptowährung
Volltext PE:
Die Übertragung der sog. Kryptowährung Ether (ETH) zur Erfüllung von Provisionsansprüchen des Arbeitnehmers kann, wenn dies bei objektiver Betrachtung im Interesse des Arbeitnehmers liegt, grundsätzlich als Sachbezug iSv. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO* vereinbart werden. Der unpfändbare Betrag des Arbeitsentgelts muss dem Arbeitnehmer aber in Geld ausgezahlt werden.
Die Klägerin war bei der Beklagten, einem Unternehmen, das sich ua. mit Kryptowährungen befasst, seit dem 1. Juni 2019, zunächst mit einer monatlichen Bruttovergütung von 960,00 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden und ab dem 1. April 2020 in Vollzeit mit einem Bruttomonatsgehalt von 2.400,00 Euro beschäftigt. Zusätzlich war jedenfalls bis zum 31. März 2020 arbeitsvertraglich ein Provisionsanspruch auf Basis der monatlichen Geschäftsabschlüsse vereinbart. Die Provision war dabei zunächst in Euro zu ermitteln und zum Zeitpunkt der Fälligkeit – dem jeweiligen Letzten des Folgemonats – zum „aktuellen Wechselkurs“ in ETH umzurechnen und zu erfüllen. Eine Übertragung von ETH und eine Abrechnung der Provisionsansprüche erfolgte bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2021 nicht, obwohl die Klägerin die Beklagte hierzu mehrfach aufgefordert und ein für die Übertragung erforderliches Wallet am 11. August 2020 mitgeteilt hatte. Mit der Gehaltsabrechnung für Dezember 2021 zahlte die Beklagte an die Klägerin 15.166,16 Euro brutto als Provisionen aus, was die Klägerin bei der Höhe der Klageforderung berücksichtigte.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin zuletzt noch Provisionen in Höhe von 19,194 ETH für die Monate Februar und März 2020 verlangt. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, soweit die Provisionsforderungen berechtigt seien, habe sie diese durch die im Dezember 2021 geleistete Zahlung erfüllt. Unabhängig davon verlange § 107 Abs. 1 GewO die Zahlung von Arbeitsentgelt in Euro und lasse dessen Auszahlung in einer Kryptowährung nicht zu. Die Vorinstanzen haben der Klage – soweit für die Revision von Bedeutung – stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts allein deshalb Erfolg, weil das Berufungsgericht das pfändbare Einkommen iSv. § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO unzutreffend ermittelt hat. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Provisionen, zu erfüllen durch Übertragung von ETH, dem Grunde nach zu. Bei einer „Kryptowährung“ handelt es sich zwar nicht um „Geld“, wie in § 107 Abs. 1 GewO verlangt. § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO lässt es aber grundsätzlich zu, Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts zu vereinbaren, wenn dies im Interesse des Arbeitnehmers liegt.** Um einen solchen Sachbezug handelt es sich, wenn arbeitsvertraglich die Übertragung einer Kryptowährung vereinbart ist. Diese Vereinbarung lag nach den Umständen des Einzelfalls auch im objektiven Interesse der Klägerin. Nach § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO darf jedoch der Wert der vereinbarten Sachbezüge die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Dem Arbeitnehmer muss zumindest der unpfändbare Betrag seines Entgelts in Geld ausgezahlt werden. Damit soll ua. sichergestellt werden, dass der Arbeitnehmer nicht gezwungen wird, erst den Sachbezug in Euro „umzutauschen“ oder Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, um die Bedürfnisse des täglichen Lebens befriedigen zu können. Ein Verstoß gegen § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO führt, wenn der Sachbezug, wie hier die Einheit ETH, teilbar ist, zur teilweisen Nichtigkeit der Vereinbarung. Das bedeutet, dass das Arbeitsentgelt bis zur Höhe der jeweiligen Pfändungsfreigrenzen in Geld zu leisten und der Sach-bezug entsprechend zu kürzen ist. Von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgegangen, hat aber bei der Ermittlung der Pfändungsfreigrenzen nach den §§ 850 ff. ZPO die gesetzlichen Vorgaben nicht in jeder Hinsicht zutreffend berücksichtigt. Nachdem die für die Berechnung der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge erforderlichen Tatsachen vom Berufungsgericht nicht vollständig festgestellt worden sind, kann der Senat nicht entscheiden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Übertragung von ETH in zugesprochener Höhe zusteht. Die Sache war deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
Siehe:
https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/provisionsanspruch-kryptowaehrung/
XII.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urt. v. 05.02.2025, Az.: 10 Sa 34/24
Schlagworte/Normen:
Wirksame förmliche Zustellung bei verschlossenem Werkstor an einem Samstag
Leitsatz:
1. Eine Ersatzzustellung in den Geschäftsräumen des Adressaten (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) ist auch dann i.S.d. § 180 Satz 1 ZPO nicht ausführbar, wenn dem Zusteller bekannt ist, dass bei geschlossenem Werkstor niemand arbeitet, dem er das zuzustellende Schriftstück persönlich übergeben würde.
2. In diesem Fall widerspricht es nicht der Wahrheit, wenn der Zusteller in der Zustellungsurkunde förmlich beurkundet, dass er zunächst den Versuch unternommen hat, das Schriftstück persönlich zu übergeben (§ 170 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, § 178 Abs. 1 Nr 2 ZPO), obwohl er zuvor weder am Werkstor geklingelt noch die Klinke gedrückt noch ähnliche Versuche zur persönlichen Übergabe des Schriftstücks unternommen hat. Es wäre reine Förmelei, vom Zusteller derartiges zu verlangen (in Abgrenzung zu BFH 25. Juni 2024 - X R 13/23).
3. Die Zustellung eines Urteils an einem Samstag erfolgt nicht zur Unzeit.
4. Die Versäumung der Berufungsfrist ist nicht unverschuldet i.S.d. § 233 ZPO, wenn eine klärungsbedürftige Unsicherheit über den Zugang des Urteils vorliegt, diese Unsicherheit aber nicht vor dem Eintrag der Berufungsfrist im Fristenkalender aufgeklärt wird. Eine solche Unsicherheit liegt vor, wenn das Datum auf dem Umschlag, in dem sich das zuzustellende Urteil befunden hat (§ 180 Satz 3 ZPO), und der Tag, an dem der Umschlag einem Briefkasten entnommen worden ist, voneinander abweichen.
Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001605067
XIII.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Urt. v. 19.03.2025, Az.: 4 Sa 47/24
Schlagworte/Normen:
Ersetzung der Anpassungsprüfungspflicht nach § 16 Abs. 1 BetrAVG durch Anpassungen gem. § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG - Übergangsregelung gem. § 30c Abs. 1 BetrAVG - "Einheitstheorie"
Leitsatz:
Die Anpassungsprüfungspflicht gem. § 16 Abs. 1 BetrAVG für laufende Leistungen einer betrieblichen Altersversorgung, die vor dem 1. Januar 1999 zugesagt wurde, kann auch dann nicht durch eine vertragliche Zusage jährlicher Erhöhungen von einem Prozent gem. § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG ersetzt werden, wenn die betriebliche Altersversorgung nach dem 31. Dezember 1998 neu strukturiert wurde, die alte Versorgung jedoch mit der neuen Versorgung "verschmolzen" wurde. Es gilt dann für die Anwendung der Übergangsregelung des § 30c Abs. 1 BetrAVG die sog. "Einheitstheorie", wonach auf den Zeitpunkt der Ursprungszusage abgestellt werden muss.
Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001606137
XIV.
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg
Beschluss v. 10.04.2025, Az.: 2 Sa 8/25
Schlagworte/Normen:
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Vorrang der Ersatzeinreichung - Glaubhaftmachung - Störung Kanzleisoftware- beA-Webanwendung - Internetausfall - Totalabsturz Kanzlei-EDV - vorschnelles Aufgeben von Übermittlungsversuchen
Leitsatz:
1. Ein auf einen vorübergehenden „Computer-Defekt”, „Computer-Absturz”, „Totalabsturz“ der Kanzlei-EDV oder „Internetausfall“ gestützter Wiedereinsetzungsantrag verlangt zwingend nähere Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung, um die Möglichkeit auszuschließen, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihren Prozessbevollmächtigten verschuldet war.
2. Ein Rechtsanwalt muss bei Ausfall "nur" seiner Kanzleisoftware zunächst auf die beA-Webanwendung zurückgreifen und eine Übermittlung als elektronisches Dokument hierüber versuchen (offengelassen, ob auch die beA-App auf dem mobilen Endgerät des Rechtsanwalts vorrangig zu nutzen ist).
3. Scheitert die Übermittlung als elektronisches Dokument, muss des Weiteren grundsätzlich der Versuch einer Ersatzeinreichung nach § 46g Satz 3 ArbGG unternommen werden. Die (fristwahrende) Ersatzeinreichung geht dem Wiedereinsetzungsantrag (bei Fristversäumung) vor. Die Versäumung einer Notfrist erfolgt in aller Regel schuldhaft, wenn von zumutbaren Möglichkeiten einer Ersatzeinreichung kein Gebrauch gemacht wird.
4.Eine nach § 46c Abs. 3 Satz 3 ArbGG übermittelte eidesstattliche Versicherung eines Dritten muss (vom Prozessbevollmächtigten) qualifiziert signiert bzw. (vom Prozessbevollmächtigten) einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.
5. Die vorübergehende technische Unmöglichkeit als Voraussetzung einer wirksamen Ersatzeinreichung muss nicht im Moment des Fristablaufs vorliegen. Bei wirksamer Ersatzeinreichung sind weitere Versuche einer Übermittlung als elektronisches Dokument bis zum Fristablauf obsolet.
6. Erfolgt jedoch keine Ersatzeinreichung und wird die Frist versäumt, bestehen nach der im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags weiterhin anwendbaren höchstrichterlichen Rechtsprechung zum „vorschnellen Aufgeben“ von Übermittlungsversuchen erhöhte Sorgfaltspflichten, wenn die Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft wird.
Siehe:
https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001606210
XV.
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil v. 26.02.2025, Az.: 12 Sa 817/23
Schlagworte/Normen:
Betriebsratsvergütung - Stufenklage - Auskunft - variable Vergütung - Restricted Stock Units
Leitsatz:
1. Im Rahmen des Lohnausfallprinzips des § 37 Abs. 2 BetrVG kann bei variablen Vergütungsbestandteilen ein Indiz für die hypothetische Zielerreichung des Betriebsratsmitglieds der Zielerreichungsgrad einer Vergleichsgruppe sein. Zur Durchsetzung des hypothetischen variablen Vergütungsbestandteils kann dem Betriebsratsmitglied ein Auskunftsanspruch gegen seinen Arbeitgeber zustehen.
2. Die auf die Mitteilung der Zielerreichungsgrade der Mitglieder der Vergleichsgruppe gerichtete Auskunft kann unter den Voraussetzungen einer zweckändernden Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Art. 6 Abs. 4 DSGVO die individuelle und nicht anonymisierte Zuordnung der Zielerreichungsgrade umfassen.
3. Zu den Anforderungen an eine Auskunft über die Anzahl und den Wert der an die Mitglieder einer Vergleichsgruppe zugeteilten Restricted Stock Units, um einen Schadensersatzanspruch wegen Betriebsratsbenachteiligung gemäß § 78 Satz 2 BetrVG durchzusetzen. Der Auskunftsanspruch richtete sich hier unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 4 DSGVO auf die konkret individuell an die einzelnen Arbeitnehmer zugeteilten Restricted Stock Units.
Siehe:
https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2025/NRWE_LAG_D_sseldorf_12_Sa_817_23_Urteil_20250226.html
XVI.
Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss v. 10.02.2025, Az.: 4 Ta 200/24
Schlagworte/Normen:
Aussetzung, Abfindungsanspruch, Beschlussverfahren über Nichtigkeit einer Betriebsvereinbarung
Leitsatz:
Aussetzung eines Individualverfahrens auf Zahlung einer Sozialplanabfindung, bis das Beschlussverfahren über die Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung, aus der sich der Abfindungsanspruch ergibt, rechtskräftig entschieden ist.
Siehe:
https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/koeln/lag_koeln/j2025/4_Ta_200_24_Beschluss_20250210.html
XVII.
Landesarbeitsgericht Köln
Urteil v. 18.02.2025, Az.: 7 Sa 558/23
Schlagworte/Normen:
Änderungskündigung, Personalrat, öffentlicher Dienst
Leitsatz:
1. Das Mitbestimmungsverfahren nach §§ 70,38 BPersVG und das Mitwirkungsverfahren nach §§ 81, 85 BPersVG sind zwei unterschiedliche Verfahren. Der Arbeitgeber kann zwar beide Verfahren miteinander verbinden, er muss es jedoch nicht.
2. Die ordnungsgemäße Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens nach §§ 70, 78 Abs. 1 Nr. 3 u. 4 BPersVG ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung der mit diesen Zielen erklärten Änderungskündigung.
Siehe:
https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/koeln/lag_koeln/j2025/7_Sa_558_23_Urteil_20250218.html
XVIII.
Landesarbeitsgericht Köln
Urteil v. 25.02.2025, Az.: 7 SLa 456/24
Schlagworte/Normen:
Abmahnung, Umsetzung, Versetzung, sexuelle Belästigung
Leitsatz:
1. Es ist Sache des Arbeitgebers zu entscheiden, wie er auf Konfliktlagen reagieren will. Liegt in Gestalt einer Konfliktlage ein hinreichender Anlass vor und ist eine vom Direktionsrecht umfasste Maßnahme geeignet, der Konfliktlage abzuhelfen, ist grundsätzlich ein anerkennenswertes Interesse gegeben, diese Maßnahme zu ergreifen. Seinen Ermessenspielraum verletzt der Arbeitgeber erst, wenn er sich bei der Konfliktlösung von offensichtlich sachfremden Erwägungen leiten lässt.
2. Die Ausübung des Direktionsrecht (hier: örtliche Umsetzung) wird nicht allein deshalb unwirksam, weil der Tatnachweis einer Pflichtverletzung (hier: sexuelle Belästigung) in einem Arbeitsgerichtsverfahren nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts geführt werden konnte. Das Vorliegen einer nachgewiesenen Pflichtverletzung ist nicht Tatbestandsvoraussetzung für eine Umsetzung. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte.
Siehe:
https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/koeln/lag_koeln/j2025/7_SLa_456_24_Urteil_20250225.html
XIX.
Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil v. 18.02.2025, Az.: 6 SLa 685/24
Schlagworte/Normen:
dienstliche Beurteilung, Einzelbewertung, Ankertext, Plausibilisierung, Konkretisierung
Leitsatz:
1.Wenn die in einer dienstlichen Beurteilung enthaltenen Einzelbewertungen (nach Maßgabe anzuwendender Beurteilungsrichtlinien im Einklang mit Art. 33 Abs. 2 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG) in Zahlen ausgedrückt werden, ist im Sinne einer nachvollziehbaren Darstellung kenntlich zu machen, worüber und nach welchen Maßstäben geurteilt wurde. Hierzu bedarf es textlicher Definitionen der jeweiligen Einzelkriterien, die mittels so genannter Ankertexte in Beurteilungsrichtlinien vorgegeben sein können.
Die gänzlich unveränderte, nicht auf den betreffenden Fall zugeschnittene Übernahme musterhafter Ankertexte in eine dienstliche Beurteilung ist nicht ausreichend, weil auf diese Weise nicht erkennbar wird, welche konkreten Erwägungen der Bewertung zugrunde gelegt wurden.
2.Eine nachträgliche Plausibilisierung/Konkretisierung der in einer dienstlichen Beurteilung enthaltenen Einzelbewertungen setzt schon begrifflich das Vorhandensein einer nachvollziehbaren Darstellung unter Verwendung textlicher Definitionen voraus.
Die erstmalige textliche Begründung in Zahlen ausgedrückter Einzelbewertungen durch prozessuales Vorbringen ist unzulässig, da sie das Gericht nicht in die Lage versetzt, einen bereits durchgeführten Beurteilungsprozess zu kontrollieren, sondern diesen in das gerichtliche Verfahren verlagert.
Siehe:
https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/hamm/lag_hamm/j2025/6_SLa_685_24_Urteil_20250218.html
XX.
Landesarbeitsgericht Köln
Urteil v. 6.02.2025, Az.: 6 SLa 328/24
Schlagworte/Normen:
Verzugszinsen nach fehlerhafter Eingruppierung; Verschulden; objektiv zweifelhafte Rechtslage; Verjährung; Verjährungsverzicht
Leitsatz:
1. Die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen setzt ein Verschulden des Schuldners voraus, das bei einer objektiv zweifelhaften Rechtslage ausgeschlossen sein kann (BAG v. 13.06.2002 - 5 AZR 385/20 -).
2. Mit dem Urteil des 4. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 28.02.2018 - 4 AZR 816/16 - war höchstrichterlich geklärt, dass in der Serviceeinheit eines Gerichts die "Betreuung der Aktenvorgänge in der Geschäftsstelle vom Eingang bis zum Abschluss des Verfahrens" einen einzigen großen Arbeitsvorgang darstellt. Die Zahlungsansprüche, die sich aus einer in diesem Zusammenhang fehlerhaften Eingruppierung ergeben, sind zu verzinsen. Das beklagte Land kann sich wegen der besagten höchstrichterlichen Rechtsprechung jedenfalls seit dem 28.02.2018 nicht auf fehlendes Verschulden berufen.
3. Es bedarf keines besonderen Verzichts auf die Verjährungseinrede hinsichtlich der Zinsen, wenn7 schon hinsichtlich des Hauptanspruchs auf die Einrede verzichtet worden ist.
Siehe:
https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/koeln/lag_koeln/j2025/6_SLa_328_24_Urteil_20250206.html
XXI.
Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.04.2025, Az.: 10 SLa 694/24
Schlagworte/Normen:
Abrechnung; Anerkenntnis; Arbeitnehmerhaftung; Ausschlussfrist; Schadensersatz; Streitlos; Vorbehaltlos; betrieblich veranlasste Tätigkeit; Ausschlussfristen; Entgeltabrechnung
Leitsatz:
1. Das Handeln eines Arbeitnehmers ist betrieblich veranlasst, wenn bei objektiver Betrachtungsweise aus der Sicht des Schädigers im Betriebsinteresse zu handeln war, sein Verhalten unter Berücksichtigung der Verkehrsüblichkeit nicht untypisch war und keinen Exzess darstellte. Der betriebliche Charakter der Tätigkeit geht nicht dadurch verloren, dass der Arbeitnehmer bei der Durchführung der Tätigkeit grob fahrlässig oder vorsätzlich seine Verhaltenspflichten verletzt, auch wenn ein solches Verhalten grundsätzlich nicht im Interesse des Arbeitgebers liegt.
2.Bei betrieblich veranlasster Tätigkeit vorsätzlich verursachte Schäden hat der Arbeitnehmer in vollem Umfang zu tragen, bei leichter Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht. Bei mittlerer Fahrlässigkeit ist der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu verteilen. Bei grober Fahrlässigkeit hat der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen, doch können Haftungserleichterungen, die von einer Abwägung im Einzelfall abhängig sind, in Betracht kommen.
3.Die Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen ist durch eine Abwägung der Gesamtumstände zu bestimmen, wobei insbesondere Schadensanlass, Schadensfolgen, Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen. Eine möglicherweise vorliegende Gefahrgeneigtheit der Arbeit ist ebenso zu berücksichtigen wie die Schadenshöhe, ein vom Arbeitgeber einkalkuliertes Risiko, eine Risikodeckung durch eine Versicherung, die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb und die Höhe der Vergütung, die möglicherweise eine Risikoprämie enthalten kann. Auch die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und die Umstände des Arbeitsverhältnisses, wie die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Familienverhältnisse und sein bisheriges Verhalten können zu berücksichtigen sein.
4.Eine in einer schriftlichen Lohnabrechnung des Arbeitgebers vorbehaltlos ausgewiesene Lohnforderung ist zunächst streitlos gestellt und muss nicht noch einmal zur Wahrung einer Ausschlussfrist schriftlich geltend gemacht werden. Die Obliegenheit zur Geltendmachung lebt nicht wieder auf, wenn der Arbeitgeber die Forderung später bestreitet.
Siehe:
https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/e9c1b150-4962-4338-b700-2ea8ea147aa6
XXII.
Arbeitsgericht Hamburg
Urt. v. 21.04.2025, Az.: See 1 Ca 180/23 – rechtskräftig -
Schlagworte/Normen:
Alkoholverbot an Bord eines Schiffes – Bereitschaftsdienst
Leitsatz:
1.Ein Alkohol- und Drogenverbot an Bord eines Schiffes auch während der dienstfreien Zeit, um im Notfall die Einhaltung aller erteilten Anweisungen sicherzustellen, stellt keinen vergütungspflichtigen Bereitschaftsdienst dar.
2.Die Sicherstellung der Einsatzbereitschaft eines Besatzungsmitglieds führt nur dann zum Vorliegen von Bereitschaftsdienst, wenn das Besatzungsmitglied außerhalb seiner Arbeitszeit jederzeit mit der Aufnahme seiner Tätigkeit rechnen muss. Dies ist nicht der Fall, wenn das Besatzungsmitglied nur für Notfälle einsatzbereit sein muss.
Siehe:
https://www.landesrecht-hamburg.de/bsha/document/NJRE001605771
Neu eingestellte Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein:
keine
Michael Henn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Erbrecht
Fachanwalt für Arbeitsrecht
VDAA – Präsident
VDAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e.V.
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