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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart



I.
Wechsel zu einer „Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft“ als Umgehung der Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.10.2012, Az. 8 AZR 572/11

Wechseln Arbeitnehmer durch einen dreiseitigen Vertrag vom Betriebsveräußerer zu einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (B & Q), so ist diese Vereinbarung unwirksam, wenn es für den Arbeitnehmer klar erschien, dass alsbald seine Neueinstellung durch einen Betriebserwerber erfolgen werde.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Befristung. Über das Vermögen der Arbeitgeberin des Klägers war 2007 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Der Insolvenzverwalter führte das Unternehmen zunächst fort und versuchte es zu veräußern. Im März 2008 hatte die spätere Betriebserwerberin einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen, in dem sie sich verpflichtete, von den ca. 1.600 Arbeitnehmern der Insolvenzschuldnerin nach dem Erwerb der Betriebsstätten über 1.100 unbefristet und 400 befristet zu beschäftigen. Danach schloss sie mit dem Insolvenzverwalter einen Kaufvertrag über die sächlichen Betriebsmittel. Im April 2008 vereinbarte der Insolvenzverwalter mit Betriebsrat und Gewerkschaft einen Interessenausgleich und Sozialplan zu einer „übertragenden Sanierung“. Dann wurde auf einer Betriebsversammlung am 3. Mai 2008 den Arbeitnehmern das Formular eines dreiseitigen Vertrags ausgehändigt, der das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2008 und die Vereinbarung eines neuen Arbeitsverhältnisses ab dem 1. Juni 2008 00.00 Uhr mit der B & Q vorsah. Außerdem wurden auf derselben Betriebsversammlung den Arbeitnehmern vier weitere von ihnen zu unterzeichnende Angebote für ein neues Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin, beginnend am 1. Juni um 00.30 Uhr vorgelegt. Ein Angebot beinhaltete einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit der Betriebserwerberin, die anderen drei sahen unterschiedlich lang befristete Arbeitsverhältnisse vor. Der Kläger unterzeichnete alle fünf Vertragsangebote. Die Betriebserwerberin nahm am 30. Mai 2008 das Angebot des Klägers für ein auf 20 Monate befristetes Arbeitsverhältnis an. Ab 1. Juni 2008 arbeitete der Kläger für diese und klagte im Juni 2009 auf Entfristung.

Die Klage hatte vor dem Landesarbeitsgericht und dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Beklagte kann sich auf die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses durch den vom Kläger mit der B & Q geschlossenen Arbeitsvertrag, der nur eine halbe Stunde bestand, nicht berufen. Nach den Umständen, unter denen dieser Vertrag zustande kam, erschien es klar, dass er dem Zweck diente, die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses zu unterbrechen und die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu umgehen. Dass der Kläger nicht dauerhaft aus dem Betrieb ausscheiden sollte, ergab sich für ihn sowohl aus den Rahmenvereinbarungen des Insolvenzverwalters als auch daraus, dass er gleichzeitig mit der Unterzeichnung des B & Q-Angebotes vier Angebote für ein neues Arbeitsverhältnis mit der Betriebserwerberin abzugeben hatte.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16261&pos=0&anz=76&titel=Wechsel_zu_einer_%E2%80%9EBesch%C3%A4ftigungs-_und_Qualifizierungsgesellschaft%E2%80%9C_als_Umgehung_der_Rechtsfolgen_eines_Betriebs%C3%BCbergangs

II.
Zuschuss zum Mutterschaftsgeld - Elternzeit
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.08.2012, Az. 5 AZR 652/11

Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld entfällt nicht für den gesamten Zeitraum der Schutzfristen, wenn das Arbeitsverhältnis bei Beginn der Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG wegen Elternzeit geruht hat. Der Anspruch auf Mutterschaftsgeld ist nur bis zum Ende der Elternzeit ausgeschlossen.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2012&nr=16254&pos=1&anz=343

III.
Altersversorgung Anpassungsprüfung, Nettolohnentwicklung, reallohnbezogene Obergrenze, bAV-Lohnäquivalent, Gruppenbildung
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 25.09.2012, Az. 9 Sa 751/12

Im Rahmen der Anpassungsprüfung gem. § 16 BetrAVG ist bei der Betrachtung der Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmergruppen gem. § 16 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG der Wert der durch den Arbeitgeber für die betriebliche Altersversorgung der aktiven Mitarbeiter einerseits zu Beginn, andererseits am Ende des Prüfungszeitraums erbrachten Leistungen (sog. bAV-Lohnäquivalent) nicht zu berücksichtigen.

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2012/9_Sa_751_12urteil20120925.html

IV.
Vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern - Leiharbeit - personelle Mitbestimmung - Strohmanngesellschaft
Arbeitsgericht Offenbach, Urteil vom 1.08.2012 - 10 BV 1/12

1.Der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ist bei Einstellungen dann gegeben, wenn der Zweck der Verbotsnorm nur dadurch erreicht werden kann, dass die Einstellung insgesamt unterbleibt. Insofern muss die personelle Maßnahme als solche gesetzeswidrig sein, nicht einzelne Vertragsbestimmungen; das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung ist kein Instrument einer umfassenden Vertragskontrolle. Wenn die gesamten rechtlichen Grundlagen der Einstellung (Zustandekommen des Arbeitsvertrages, Person des Arbeitgebers, Arbeitsvertragsbedingungen, zeitliche Grenze des Arbeitsvertrages) nicht den Bestimmungen des AÜG entsprechen, ist es im Sinne effizienter Rechtsdurchsetzung (Art. 5 Abs. 5, 10 Abs. 1 Leiharbeitsrichtlinie) erforderlich, dem Betriebsrat als betriebliche Interessenvertretung ein Zustimmungsverweigerungsrecht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG einzuräumen.

2.Die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers auf einem Arbeitsplatz im Entleiherbetrieb, der zuvor von einem dauerhaft (unbefristet) beschäftigten Arbeitnehmer besetzt war oder der etwa in einem Stellenplan als Dauerarbeitsplatz gekennzeichnet ist, verstößt als solches nicht gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, da es auf die vorübergehende Beschäftigung des Leiharbeitnehmers ankommt, nicht jedoch, auf welchem Arbeitsplatz der Arbeitnehmer tatsächlich beschäftigt wird.

3.Wenn die Vertragsgestaltung zwischen Entleiher, Verleiher und Arbeitnehmer so gewählt ist, dass dem Leiharbeitnehmer die Chance genommen ist, sich auf eine offene Stelle im Entleihbetrieb zu bewerben, stellt dies einen Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie dar; die Überlassung erfolgt insofern nicht mehr vorübergehend, sondern endgültig. Dies ist denkbar, wenn dem Leiharbeitnehmer durch die Dauer seines Einsatzes oder die besondere Vertragsgestaltung die Bewerbung auf einen unbefristeten Arbeitsplatz im Entleihunternehmen versperrt wird.

4.Der Begriff "vorübergehend" enthält nicht nur ein zeitliches Element in dem Sinne, dass eine längere zeitliche Dauer der Überlassung oder gar eine dauerhafte Überlassung ausgeschlossen wird. Er enthält in sachlicher Hinsicht darüber hinaus die Notwendigkeit, dass der überlassene Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, in den Verleihbetrieb zurückzukehren. Die Überlassung muss im Verhältnis zum Arbeitsvertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen vorübergehend sein.

5.Fehlt es für den Leiharbeitnehmer an einer Rückkehrmöglichkeit zum Verleiher und zur Möglichkeit einer Fortsetzung der Beschäftigung in einem anderen Entleiherbetrieb, stellt die Einstellung des betroffenen Arbeitnehmers jedenfalls in sachlicher Hinsicht keine vorübergehende Überlassung dar. Eine Ausnahme vom Synchronisationsverbot ist nur dann möglich, wenn der Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb die gleichen arbeitsvertraglichen Bedingungen erhält wie die übrigen im Entleiherbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer ("equal pay"). Die Tarifdospositivität des equal-pay-Gebots besteht nur für Leiharbeitnehmer mit einem Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen, der über den Dauer des Einsatzes in einem Unternehmen hinausgeht.

http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/b19/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=KARE600038557%3Ajuris-r03&documentnumber=10&numberofresults=3949&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

V.
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 13.08.2012, Az. 16 Sa 1718/11

Nach Ablauf eines befristeten Arbeitsverhältnisses kann sich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Wiedereinstellung nur aus einer entsprechenden Zusage des Arbeitgebers, aus der Begründung eines entsprechenden Vertrauenstatbestands oder aus betrieblicher Übung ergeben.

http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/b19/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE120020508%3Ajuris-r03&documentnumber=8&numberofresults=3949&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint

VI.
Unwirksame beschränkte Mandantenschutzklausel, da kein freier Beruf und fehlendes Standesrecht
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 04.10.2012, Az. 11 Sa 515/12

Unwirksame beschränkte Mandantenschutzklausel, da kein freier Beruf und fehlendes Standesrecht, keine Karenzentschädigung vereinbart. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts handelt es sich bei der vorliegenden Klausel nicht um eine zulässige beschränkte Mandantenschutzklausel. Insoweit kann auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 25.09.1980 (3 AZR 638/78) oder im Urteil vom 16.07.1971 (3 AZR 384/70) zurückgegriffen werden. Denn diese Rechtsprechung ist zu anderen Sachverhalten ergangen und auch nur auf diese entsprechenden Sachverhalte anwendbar. In beiden Fällen war jeweils ein freier Beruf betroffen, bei dem aufgrund des gültigen Standesrechts bereits die Abwerbung von Mandanten unzulässig war. Aus diesem Grund hat das Bundesarbeitsgericht bei derartigen beschränkten Abwerbeklauseln die Notwendigkeit einer Entschädigung für ihre Wirksamkeit verneint. Dies geht eindeutig aus dem Urteil vom 16.07.1971 hervor, in dem das Bundesarbeitsgericht festgestellt hat, dass „solche Abwerbungsverbote deshalb nicht entschädigungspflichtig sind“. Dass entsprechende Klauseln entschädigungslos zulässig sind, begründet sich eben darin, dass entsprechende Handlungen bereits nach dem Standesrecht verboten sind, so dass eine entsprechende Klausel an und für sich nur noch deklaratorischen Inhalt hat und es deshalb auch keiner Vereinbarung einer Entschädigung bedarf, um diese Klausel wirksam werden zu lassen. Soweit also der Bereich außerhalb der freien Berufe betroffen ist, in dem kein Standesrecht gilt, stellen Abwerbeverbote auch eine Beschränkung der gewerblichen/beruflichen Tätigkeit dar und fallen unter die §§ 74 ff. HGB, sodass eine Karenzentschädigung zu vereinbaren ist, um diese wirksam werden zu lassen

(Leitsatz der Schriftleitung)

http://www.arbg.bayern.de/muenchen/entscheidungen/neue/22629/index.html

VII.
Arbeitsgericht Mönchengladbach: Fristlose Kündigung- „Ich hau dir vor die Fresse“ – Langjährig beschäftigter städtischer Mitarbeiter bedroht seinen Vorgesetzten
Arbeitsgericht Mönchengladbach, Urteil vom 07.11.2012, Az. 6 Ca 1749/12

Der Kläger war seit 1987 als Arbeiter im Bereich Straßenmanagement bei der Stadt Mönchengladbach beschäftigt. Im Zuge der Durchführung von Bodenbelagsarbeiten am Stationsweg äußerte sich der Kläger seinem unmittelbaren Vorgesetzten gegenüber im Beisein eines weiteren Mitarbeiters mit den Worten:
„Ich hau dir vor die Fresse, ich nehme es in Kauf, nach einer Schlägerei gekündigt zu werden, der kriegt von mir eine Schönheitsoperation, wenn ich dann die Kündigung kriege, ist mir das egal“.

Wegen dieses Vorfalles kündigte die Stadt Mönchengladbach das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 06.06.2012 fristlos.

Die gegen diese Kündigung vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage hat die 6. Kammer des Arbeitsgerichts Mönchengladbach mit heute verkündetem Urteil abgewiesen. Das Arbeitsgericht hält die fristlose Kündigung für rechtswirksam, da der Kläger seinen Vorgesetzten in strafrechtlich relevanter Art und Weise bedroht hat, wegen der Bedrohung seines damaligen Vorgesetzten ungefähr ein Jahr zuvor bereits abgemahnt worden war und nach Durchführung einer Beweisaufnahme entgegen der dahingehenden Behauptung des Klägers nicht zur Überzeugung der Kammer festgestellt werden konnte, dass der Kläger zuvor von seinem Vorgesetzten massiv provoziert worden war.

http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/07_11_2012/index.php

VIII.
Rechtsweg
Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 04.10.2012, Az. 11 Ta 377/11

Zur Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bei einem Kündigungsschutzprozess eines Geschäftsführers einer GmbH nach dessen Abberufung als Organmitglied.

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2012/11_Ta_377_11_Beschluss_20121004.html

IX.
Zustimmungsersetzung
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 19.09.2012, Az. 17 TaBV 124/11

1.Der Dauerverleih von Arbeitnehmern im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit ist seit der Neufassung des AÜG vom 20.12.2011 (BGBl I. S. 2854), mit dem die Richtlinie 2008/104/EG umgesetzt wurde, unzulässig.

2.Beabsichtigt der Arbeitgeber die unbefristete Einstellung einer Arbeitnehmerin auf einem sog. Dauerarbeitsplatz, kann der Betriebsrat seine Zustimmung zur Einstellung gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG, § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG wegen Gesetzesverstoßes verweigern.

3.Stellt der Arbeitgeber grundsätzlich nur noch Leiharbeitnehmer ein, um eine Senkung der Personalkosten zu erreichen, so kann dies unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls als institutioneller Rechtsmissbrauch (§ 242 BGB) ein Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG begründen. In einem solchen Fall kann nicht festgestellt werden, dass die Maßnahme aus sachlichen Gründen dringend erforderlich war (§ 100 Abs. 2 Satz 3 BetrVG).

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE120019800&st=null&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

X.
Abfindung - Ausbildungskosten - Rückzahlung - Eigenkündigung
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 25.09.2012, Az. 1 Sa 497/12

Die Auslegung einer "Abfindungszusage" für das Verbleiben einer Notariatsfachangestellten bis zur "Nichtfortführung des Notariats" kann ergeben, dass die Zahlung auch bei Eigenkündigung nach Erreichen der Altersgrenze der Notare beansprucht werden kann.

http://www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=JURE120020517&st=null&showdoccase=1¶mfromHL=true#focuspoint

XI.
Zur Haftung des Betriebsrats und seiner Mitglieder bei der Beauftragung eines Beraters zur Unterstützung des Betriebsrats bei geplanten Betriebsänderungen
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.2012, Az. III ZR 266/11

Der unter anderem für das Dienstvertragsrecht zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute über die gegen einen Betriebsrat und seine Vorsitzenden gerichtete Vergütungsklage einer auf die Beratung von Betriebsräten spezialisierten Gesellschaft entschieden.

Nachdem der Betriebsrat eines an mehreren Standorten tätigen Unternehmens mit mehr als 300 Arbeitnehmern den Beschluss gefasst hatte, sich im Verfahren über einen Interessenausgleich gemäß § 111 Satz 2 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) von der Klägerin betriebswirtschaftlich beraten zu lassen, erteilte der Betriebsratsvorsitzende der Klägerin einen Beratungsauftrag. Die Klägerin nimmt nunmehr sowohl den Betriebsrat als Gremium als auch den Betriebsratsvorsitzenden und die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende auf Zahlung von Honorar für die von ihr erbrachten Beratungsleistungen in Anspruch, deren genauer Umfang und Gegenstand zwischen den Parteien streitig ist.

Die Vorinstanzen haben die gegen den Betriebsratsvorsitzenden und die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die gegen den Betriebsrat als Gremium gerichtete Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig verworfen.

Der III. Zivilsenat hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen:

Aufbauend auf der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Vermögens- und Rechtsfähigkeit des Betriebsrats im Verhältnis zum Arbeitgeber ist eine Vermögens- und - daraus folgend - eine Rechtsfähigkeit des Betriebsrats auch im Verhältnis zu Dritten (hier: dem Beratungsunternehmen) anzunehmen, soweit die mit dem Dritten getroffene Vereinbarung innerhalb des gesetzlichen Wirkungskreises des Betriebsrats liegt. Der gegen den Arbeitgeber gerichtete Anspruch des Betriebsrats gemäß § 40 Absatz 1 BetrVG auf Befreiung von der gegenüber dem Berater bestehenden Verbindlichkeit setzt notwendig das Bestehen einer eigenen Verpflichtung des Betriebsrats gegenüber dem Dritten voraus. Ohne wirksame vertragliche Grundlage würde der Dritte auch kaum den Betriebsrat beraten.

Ein Vertrag, den der Betriebsrat zu seiner Unterstützung gemäß § 111 Satz 2 BetrVG mit einem Beratungsunternehmen schließt, ist indes nur insoweit wirksam, als die vereinbarte Beratung zur Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich sowie das versprochene Entgelt marktüblich ist und der Betriebsrat daher einen Kostenerstattungs- und Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber gemäß § 40 Absatz 1 BetrVG hat. Denn nur in diesem Umfang ist der Betriebsrat vermögens- und daher auch rechtsfähig. Schutzwürdige Interessen des Beraters stehen einer solchen Begrenzung der Vertragswirksamkeit nicht entgegen, da eine weitergehende rechtsgeschäftliche Verpflichtung des Betriebsrats für den Berater mangels eines über den Kostenerstattungs- und Freistellungsanspruch hinaus gehenden Vermögens des Betriebsrats regelmäßig wertlos ist.

Die Grenzen des dem Betriebsrat bei der Beurteilung der Erforderlichkeit der Beratung zustehenden Spielraums sind im Interesse seiner Funktions- und Handlungsfähigkeit nicht zu eng zu ziehen. Soweit sie von dem Betriebsratsvorsitzenden bei der Beauftragung des Beratungsunternehmens dennoch überschritten werden, ist der von ihm für den Betriebsrat geschlossene Vertrag nicht wirksam. Der Betriebsratsvorsitzende kann insoweit gegenüber dem Beratungsunternehmen entsprechend den Grundsätzen des Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 179 des Bürgerlichen Gesetzbuches) haften, es sei denn das Beratungsunternehmen kannte die mangelnde Erforderlichkeit der Beratung oder musste sie kennen.

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2012&Sort=3&nr=61978&pos=1&anz=180


XII.
SGB IX §85 und AGG bei GmbH-Geschäftsführer
Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 18.10.2012, Az. I-6 U 47/12

Zur Anwendbarkeit des § 85 SGB IX und des AGG auf den GmbH-Geschäftsführer unter Berücksichtigung der Richtlinie 78/200/EG.

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/duesseldorf/j2012/I_6_U_47_12_Urteil_20121018.html

XIII.
Anspruch auf Arbeitszeitverringerung bei Arbeitszeitvorgaben des Entleihers
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.11.2012, Az. 9 AZR 259/11

In einem Betrieb, in dem in der Regel mehr als 15 Arbeitnehmer beschäftigt werden, kann ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, von dem Arbeitgeber verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird (§ 8 Abs. 1 TzBfG). Der Arbeitgeber hat der Verringerung der Arbeitszeit zuzustimmen, soweit betriebliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG). Diese hat er darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen.

Der Kläger ist seit 1995 im Luftfahrtunternehmen der Beklagten mit einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 18 Wochenstunden beschäftigt. Die Beklagte ist berechtigt, dem Kläger sämtliche Tätigkeiten im „Basic Service 2“ zuzuweisen. Zu diesen gehört neben dem Betreuungsdienst, dem der Kläger zugeordnet ist, eine Vielzahl anderer Tätigkeiten. 2008 übertrug die Beklagte ihren Betreuungsdienst auf einen Dienstleistungsanbieter und überließ diesem ua. den Kläger auf der Grundlage eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags. Später verpflichtete sich die Beklagte gegenüber dem Entleiher, ausschließlich Arbeitnehmer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 18 Stunden zu überlassen. Der Kläger verlangt von der Beklagten, seine regelmäßige Wochenarbeitszeit auf zehn Stunden zu reduzieren. Die Beklagte macht geltend, die Arbeitszeitregelungen des Überlassungsvertrages stünden dem Verringerungsbegehren entgegen. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der gesetzliche Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit steht auch Arbeitnehmern zu, die bereits in Teilzeit arbeiten. Die Arbeitszeitbestimmungen des Überlassungsvertrages berechtigten die Beklagte nicht, den Verringerungswunsch des Klägers abzulehnen. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Teilzeitverlangen bei allen vertraglich möglichen Einsätzen betriebliche Gründe entgegenstehen. Zu der Möglichkeit, den Kläger - gegebenenfalls im Wege eines Ringtausches - auf einem anderen Arbeitsplatz in ihrem Luftfahrtunternehmen einzusetzen, hatte die darlegungsbelastete Beklagte nichts vorgetragen.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16289&pos=0&anz=77&titel=Anspruch_auf_Arbeitszeitverringerung_bei_Arbeitszeitvorgaben_des_Entleihers

XIV.
Nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung führt nicht zu einem Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2012, Az. 7 Sa 1182/12

Nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) bedürfen Arbeitgeber, die im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit als Verleiher Dritten Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung überlassen wollen, der Erlaubnis. Die Überlassung von Arbeitnehmern erfolgt nach dem Ende 2011 in Kraft getretenen Gesetzeswortlaut vorübergehend. Im Gesetz ist nicht näher geregelt, wann ein vorübergehender Einsatz anzunehmen ist und welche Rechtsfolgen im Falle nicht nur vorübergehender Leiharbeit eintreten, insbesondere, ob in diesem Falle ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande kommt.

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat nun entschieden, dass selbst im Falle einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zustande kommt. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Falle hatte das Tochterunternehmen einer Krankenhausbetreibergesellschaft, welches mit Erlaubnis Arbeitnehmerüberlassung betreibt, dieser die als Krankenschwester beschäftigte Klägerin für die gesamte bisher über vierjährige Dauer des Arbeitsverhältnisses als Leiharbeitnehmerin überlassen. Das Landesarbeitsgericht ließ offen, ob es sich hierbei um eine nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung handelte, die von der Klägerin geltend gemachte Rechtsfolge des Zustandekommens eines Arbeitsverhältnisses sei jedenfalls vom Gesetzgeber für diesen Fall nicht vorgesehen worden. Auch ein rechtsmissbräuchliches Strohmanngeschäft könne in derartigen Fällen jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn das Arbeitsverhältnis wie im vorliegenden Falle vor der Ende 2011 erfolgten Änderung des AÜG abgeschlossen worden sei.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

http://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/archiv/20121016.0950.376704.html

XV.
Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. November 2012 - 5 AZR 886/11

Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist der Arbeitgeber berechtigt, von dem Arbeitnehmer die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer schon von dem ersten Tag der Erkrankung an zu verlangen. Die Ausübung dieses Rechts steht im nicht an besondere Voraussetzungen gebundenen Ermessen des Arbeitgebers.

Die Klägerin ist bei der beklagten Rundfunkanstalt als Redakteurin beschäftigt. Sie stellte für den 30. November 2010 einen Dienstreiseantrag, dem ihr Vorgesetzter nicht entsprach. Eine nochmalige Anfrage der Klägerin wegen der Dienstreisegenehmigung am 29. November wurde abschlägig beschieden. Am 30. November meldete sich die Klägerin krank und erschien am Folgetag wieder zur Arbeit. Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin auf, künftig schon am ersten Tag der Krankmeldung einen Arzt aufzusuchen und ein entsprechendes Attest vorzulegen. Mit ihrer Klage hat die Klägerin den Widerruf dieser Weisung begehrt und geltend gemacht, das Verlangen des Arbeitgebers auf Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits für den ersten Tag der Erkrankung bedürfe einer sachlichen Rechtfertigung. Außerdem sehe der für die Beklagte geltende Tarifvertrag ein derartiges Recht nicht vor.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin blieb erfolglos. Die Ausübung des dem Arbeitgeber von § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG eingeräumten Rechts steht im nicht gebundenen Ermessen des Arbeitgebers. Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass gegen den Arbeitnehmer ein begründeter Verdacht besteht, er habe in der Vergangenheit eine Erkrankung nur vorgetäuscht. Eine tarifliche Regelung steht dem nur entgegen, wenn sie das Recht des Arbeitgebers aus § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG ausdrücklich ausschließt. Das war vorliegend nicht der Fall.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16297&pos=0&anz=78&titel=Vorlage_einer_%E4rztlichen_Arbeitsunf%E4higkeitsbescheinigung

XVI.
Übergang des Arbeitsverhältnisses eines Hausverwalters auf den Erwerber der verwalteten Immobilie
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.11.2012 - 8 AZR 683/11

Das von einer Hausverwaltung betreute Grundstück stellt kein Betriebsmittel dar, sondern ist das Objekt der Verwaltungstätigkeit. Die Arbeitsverhältnisse der mit der Grundstücksverwaltung betrauten Arbeitnehmer der Hausverwaltungsgesellschaft gehen deshalb nicht auf den Erwerber der verwalteten Immobilie über.

Der Kläger war bei der A. KG als technisch-kaufmännischer Sachbearbeiter beschäftigt. Einziges Betätigungsfeld der KG war die Verwaltung eines ihr gehörenden Büro- und Geschäftshauses in M. Die beklagte Stadt M. war Hauptmieterin des Gebäudes. Im Jahr 2010 erwarb sie diese Immobilie, welche den einzigen Grundbesitz der A. KG darstellte. Nach dieser Grundstücksveräußerung wurde die A. KG liquidiert. Der Kläger macht geltend, sein Arbeitsverhältnis sei im Wege eines Betriebsübergangs auf die Stadt M. übergegangen. Der Klage auf Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis mit dieser fortbesteht, hat das Arbeitsgericht stattgegeben. Die Berufung der beklagten Stadt hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Die Revision der Beklagten hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Betriebszweck der A. KG war einzig die Verwaltung der in ihrem Eigentum stehenden Immobilie in M. Sie war demnach ein Dienstleistungsbetrieb. Diesen hat die beklagte Stadt M. nicht dadurch übernommen, dass sie lediglich das von der A. KG verwaltete Grundstück erworben hat.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16299&pos=0&anz=80&titel=%DCbergang_des_Arbeitsverh%E4ltnisses_eines_Hausverwalters_auf_den_Erwerber_der_verwalteten_Immobilie

XVII.
Frage an einen Stellenbewerber nach eingestellten Ermittlungsverfahren
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.11.2012, Az. 6 AZR 339/11

Der Arbeitgeber darf den Stellenbewerber grundsätzlich nicht nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fragen. Eine solche unspezifizierte Frage verstößt gegen Datenschutzrecht und die Wertentscheidungen des § 53 Bundeszentralregistergesetz (BZRG). Stellt der Arbeitgeber die Frage dennoch und verneint der Bewerber in Wahrnehmung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts wahrheitswidrig, dass gegen ihn Ermittlungsverfahren anhängig waren, darf der Arbeitgeber das zwischenzeitlich begründete Arbeitsverhältnis nicht wegen dieser wahrheitswidrig erteilten Auskunft kündigen.

Der 1961 geborene Kläger bewarb sich als sog. Seiteneinsteiger im Sommer 2009 als Lehrer an einer Hauptschule in Nordrhein-Westfalen. Vor seiner Einstellung wurde er aufgefordert, auf einem Vordruck zu erklären, ob er vorbestraft sei, und zu versichern, dass gegen ihn kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig sei oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen sei. Der Kläger unterzeichnete den Vordruck, ohne Angaben zu etwaigen Ermittlungsverfahren zu machen. Er wurde zum 15. September 2009 eingestellt. Im Oktober 2009 erhielt die zuständige Bezirksregierung einen anonymen Hinweis, der sie veranlasste, die Staatsanwaltschaft um Mitteilung strafrechtsrelevanter Vorfälle zu bitten. Die daraufhin übersandte Vorgangsliste wies mehrere nach §§ 153 ff. StPO eingestellte Ermittlungsverfahren aus. Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich, weil der Kläger die Frage nach Ermittlungsverfahren unrichtig beantwortet habe. Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Bereits eingestellte Ermittlungsverfahren habe er nicht angeben müssen.

Das Arbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung, das Landesarbeitsgericht auch die ordentliche Kündigung als unwirksam angesehen. Die hiergegen eingelegte Revision des beklagten Landes blieb vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Eine Erhebung von Daten, wie sie die unspezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren darstellt, ist nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Nordrhein-Westfalen nur zulässig, wenn sie durch eine Rechtsvorschrift erlaubt ist oder der Betroffene einwilligt. Solche Informationen zu abgeschlossenen Ermittlungsverfahren sind für die Bewerbung um eine Stelle als Lehrer nicht erforderlich und damit nicht durch § 29 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen gestattet. Die allein auf die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach Ermittlungsverfahren gestützte Kündigung verstieß deshalb gegen die objektive Wertordnung des Grundgesetzes, wie sie im Recht auf informationelle Selbstbestimmung, bei dem es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) handelt, zum Ausdruck kommt. Sie war deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=16298&pos=1&anz=80&titel=Frage_an_einen_Stellenbewerber_nach_eingestellten_Ermittlungsverfahren

XVIII.
Betriebliche Altersversorgung - Höchstaltersgrenzen - Altersdiskriminierung - Vertrauensschutz
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 24.09.2012, Az. 9 Sa 48/12

1.Ob eine Versorgungsordnung, die vor Inkrafttreten des AGG eine Höchstaltersgrenze (50 Jahre) enthielt, die nach Inkrafttreten des AGG für die Zukunft aufgehoben wurde, gegen § 10 AGG verstößt, bleibt offen.

2.Der Arbeitgeber kann sich im Hinblick auf gefestigte Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit von Höchstaltersgrenzen auf Vertrauensschutz gegen die unechte Rückwirkung des AGG in Bezug auf Höchstaltersgrenzen berufen.

http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2012&nr=16262&pos=3&anz=56

XIX.
mehrfache Befristung - kein Missbrauch bei drei Verträgen über insgesamt 11 Jahre 4 Monate
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 11.07.2012, Az. 4 Sa 82/12

Der projektbezogene Einsatz von Mitarbeitern an Forschungsvorhaben gestattet die Befristung des Arbeitsvertrages gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Ziffer 1 TzBfG. Ein Missbrauch der befristungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeit i.S.v. § 242 BGB liegt noch nicht vor, wenn die Gesamtdauer von drei befristeten Verträgen mit diesem Sachgrund 11 Jahre und 4 Monate beträgt.
Rechtsmittel ist zugelassen.

http://www.arbg.bayern.de/nuernberg/entscheidungen/arbeitsrecht/neue/22740/index.html

XX.
Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds - Befangenheit
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Beschluss vom 16.10.2012, Az. 7 TaBV 28/12

Betriebsratsmitglieder, die eine Beschwerde im Sinne des § 85 BetrVG beim Betriebsrat angebracht haben, sind bei der Beschlussfassung des Betriebsrats sowohl hinsichtlich der Berechtigung der Beschwerde (§ 85 Absatz 1 BetrVG) als auch hinsichtlich der Anrufung einer Einigungsstelle (§ 85 Absatz 2 BetrVG) gemäß § 25 Absatz 1 Satz 2 BetrVG ausgeschlossen. Die mit ihrer Mitwirkung gefassten Beschlüsse sind unwirksam und stehen der Einrichtung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG entgegen.

http://www.arbg.bayern.de/nuernberg/entscheidungen/arbeitsrecht/neue/22735/index.html

XXI.
Prozesskostenhilfe: Entzug der Bewilligung infolge falscher Angaben des Antragstellers
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.10.2012, Az. IV ZB 16/12

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2, Alternative 1 ZPO nachträglich aufgehoben werden kann, wenn der Antragsteller im Bewilligungsverfahren absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtige Angaben über seine persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, und dass dies auch dann gilt, wenn die falschen Angaben nicht zu einer objektiv unrichtigen Bewilligung geführt haben.

Dem Beklagten eines Rechtsstreits um die Rückzahlung eines Darlehens war zunächst auf seinen Antrag hin Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Nachträglich stellte sich heraus, dass er bei Antragstellung eine teilweise unrichtige und unvollständige Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben hatte. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hatte er absichtlich versucht, seine wirtschaftliche Situation, insbesondere in Bezug auf seine Geschäftsführerstellung und Beteiligung an einer GmbH, ferner die Nutzung eines Firmenwagens, zu verschleiern.

Infolge dessen hob das Landgericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2, Alternative 1 ZPO nachträglich auf. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Beklagten vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe blieb erfolglos.

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten hat der Bundesgerichtshof die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.


Der Beklagte hatte im Beschwerdeverfahren die ursprüngliche Unrichtigkeit seiner Angaben eingeräumt, jedoch geltend gemacht, bis zum Zeitpunkt der Prozesskostenhilfebewilligung hätten sich seine Verhältnisse derart verändert gehabt, dass seine Angaben zuletzt nicht mehr falsch gewesen seien und ihm bei objektiver Betrachtung ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe zugestanden habe. Das stützte sich auf eine bisher weit verbreitete Rechtsauffassung, der zufolge § 124 Nr. 2 ZPO allein bezwecke, dem von einer Prozesskostenhilfebewilligung Begünstigten sachlich nicht gerechtfertigte Vorteile wieder zu entziehen und so eine objektiv zutreffende Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe herbeizuführen. Es handele sich um eine rein kostenrechtliche Bestimmung ohne Sanktionscharakter.

Der Bundesgerichtshof ist dem entgegengetreten. Dass die Vorschrift allein schon die absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit gemachten Falschangaben eines Antragstellers sanktioniert, ergeben, wie in der Rechtsbeschwerdeentscheidung näher dargelegt wird, nicht nur Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte des § 124 Nr. 2 Alternative 1 ZPO, sondern auch der Gesetzeszweck.

Im Prüfungsverfahren zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe, das unter einem besonderen Beschleunigungsgebot steht, ist der Antragsteller bei der Aufklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in besonderem Maße zur Mitwirkung verpflichtet. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, kann das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnen. Das Gericht ist im Bewilligungsverfahren, welches sich im Interesse des Antragstellers mit einer Glaubhaftmachung der Bewilligungsvoraussetzungen begnügt, in besonderem Maße auf ein redliches Verhalten des Antragstellers angewiesen. Begründet der Antragsteller in vorwerfbarer Weise Zweifel an seiner Redlichkeit, erscheint es angemessen, ihm die nachgesuchte finanzielle Unterstützung zu versagen, weil ein summarisches Prüfungsverfahren dann nicht mehr möglich erscheint.

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=pm&Datum=2012&Sort=3&nr=62162&pos=3&anz=191

XXII.
BGH PE vom 25.10.2012: Zur Haftung des Betriebsrats und seiner Mitglieder bei der Beauftragung eines Beraters zur Unterstützung des Betriebsrats bei geplanten Betriebsänderungen
Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.10.2012, Az. III ZR 266/11

a)Ein Vertrag, den der Betriebsrat zu seiner Unterstützung gemäß § 111 Satz 2 BetrVG mit einem Beratungsunternehmen schließt, ist wirksam, soweit die vereinbarte Beratung zur Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats erforderlich ist und der Betriebsrat daher einen Kostenerstattungs- und Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG hat. Die Grenzen des dem Betriebsrat bei der ex ante-Beurteilung der Erforderlichkeit der Beratung zustehenden Spielraums sind im Interesse der Funktions- und Handlungsfähigkeit des Betriebsrats nicht zu eng zu ziehen.

b)Der Betriebsrat kann sich im Rahmen eines solchen Vertrags zur Zahlung eines Entgelts verpflichten.

c)Betriebsratsmitglieder, die als Vertreter des Betriebsrats mit einem Beratungsunternehmen eine Beratung vereinbaren, die zur Erfüllung der Aufgaben des Betriebsrats gemäß § 111 BetrVG nicht erforderlich ist, können gegenüber dem Beratungsunternehmen - vorbehaltlich der Bestimmungen in § 179 Abs. 2 und 3 BGB - entsprechend § 179 BGB haften, soweit ein Vertrag zwischen dem Beratungsunternehmen und dem Betriebsrat nicht wirksam zustande gekommen ist.

http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=62233&pos=9&anz=581

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
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