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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Auslegung einer Betriebsvereinbarung
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 25.04.2012, Az. 11 Sa 1064/11
Auslegung einer Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer Jubiläumsvergütung; kein Anspruch gegenüber Arbeitgeber auf Urlaubsabgeltung oder höheres Urlaubsentgelt im Baugewerbe trotz Verstoßes gegen Europarecht
II.
Arbeitsvertragliche Vereinbarung einer Kündigungsfrist von 18 Monaten
Arbeitsgericht Heilbronn, Urteil vom 08.05.2012, Az. 5 Ca 307/11
Die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichen Kündigungsfrist von 18 Monaten zum Monatsende ist bei einem Einkaufsleiter Einkauf International einer europaweit tätigen Supermarktkette zulässig.
III.
Abmahnung - Anhörung - Arbeitszeitbetrug - Verdachtskündigung
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.03.2012, Az. 10 Sa 2272/11
1)Auch beim "Arbeitszeitbetrug" einer langjährig Beschäftigten bedarf es grundsätzlich zunächst einer Abmahnung.
2)Die Einladung zur Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung muss den Gegenstand des Gespräches beinhalten und den Mitarbeiter in die Lage versetzen, eine Vertrauensperson hinzuzuziehen.
IV.
Schließung einer Betriebskrankenkasse
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.04.2012, Az. 5 Sa 142/12
Keine Beendigung des Arbeitsverhältnisses einer tariflich unkündbaren Arbeitnehmerin aufgrund gesetzlicher Vorschrift und durch betriebsbedingte Kündigung.
V.
Betriebsrentenanpassung - Prüfungszeitraum
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.06.2012, Az. 3 AZR 464/11
Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG ist der Arbeitgeber verpflichtet, alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Belange des Versorgungsempfängers werden durch den Anpassungsbedarf und die sog. reallohnbezogene Obergrenze bestimmt. Ausgangspunkt der Anpassungsentscheidung des Arbeitgebers ist der Anpassungsbedarf. Dieser richtet sich nach dem seit Rentenbeginn eingetretenen Kaufkraftverlust. Der so ermittelte Anpassungsbedarf wird durch die Nettolohnentwicklung der aktiven Arbeitnehmer begrenzt (sog. reallohnbezogene Obergrenze). Da die reallohnbezogene Obergrenze ebenso wie der Anpassungsbedarf die Belange der Versorgungsempfänger betrifft, gilt derselbe Prüfungszeitraum. Dieser reicht vom individuellen Rentenbeginn bis zum aktuellen Anpassungsstichtag. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Der Kläger war bis zum 31. Dezember 2005 bei der Beklagen beschäftigt und bezieht seit dem 1. Januar 2006 von der Beklagten eine Betriebsrente. Die Beklagte, die die Anpassung jeweils zum 1. Juli eines jeden Kalenderjahres einheitlich für alle Versorgungsempfänger prüft, erhöhte die monatliche Betriebsrente des Klägers zum 1. Juli 2009 um 2,91 %. Dieser Anpassung lag die Nettolohnentwicklung sämtlicher Mitarbeiter im Konzern in Deutschland mit Ausnahme der sog. Executives in den Kalenderjahren 2006 bis 2008 zugrunde. Der Kläger hat von der Beklagten eine Anpassung seiner Betriebsrente um den seit Rentenbeginn eingetretenen Kaufkraftverlust von 6,04 % verlangt.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos. Die Beklagte hat die Betriebsrente des Klägers zum 1. Juli 2009 um den seit Rentenbeginn eingetretenen Kaufkraftverlust anzupassen. Die reallohnbezogene Obergrenze rechtfertigt bereits deshalb keine die Teuerungsrate unterschreitende Anpassung, weil die Beklagte ihrer Anpassungsentscheidung insoweit nicht den maßgeblichen Prüfungszeitraum vom individuellen Rentenbeginn am 1. Januar 2006 bis zum Anpassungsstichtag, dem 1. Juli 2009, zugrunde gelegt hat.
VI.
Pensionskassenleistung - Einstandspflicht des Arbeitgebers
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.06.2012, Az. 3 AZR 408/10
Hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt, die über eine Pensionskasse durchgeführt werden sollen, und macht die Pensionskasse von ihrem satzungsmäßigen Recht Gebrauch, Fehlbeträge durch Herabsetzung ihrer Leistungen auszugleichen, so hat der Arbeitgeber aus dem arbeitsvertraglichen Grundverhältnis für die Leistungskürzung einzustehen. Diese Verpflichtung folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG, wonach der Arbeitgeber für die Erfüllung der von ihm zugesagten Leistungen auch dann einzustehen hat, wenn die Durchführung nicht unmittelbar über ihn, sondern über einen der in § 1b Abs. 2 bis 4 BetrAVG angeführten externen Versorgungsträger erfolgt. Von dieser Einstandspflicht kann der Arbeitgeber sich nach § 17 Abs. 3 BetrAVG nicht befreien.
Der Kläger war bis zum 31. Oktober 2000 bei der Beklagen und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Die Beklagte hatte ihm neben einer im Versorgungsfall aus ihrem Vermögen zu erbringenden Firmenrente eine Betriebsrente zugesagt, die über eine Pensionskasse durchgeführt werden sollte. Seit dem 1. November 2003 bezieht der Kläger von der Beklagten die Firmenrente und von der Pensionskasse die Pensionskassenrente. Die Satzung der Pensionskasse sieht vor, dass ein Fehlbetrag unter bestimmten Voraussetzungen durch Herabsetzung der Leistungen auszugleichen ist. Im Jahr 2003 beschloss die Mitgliederversammlung der Pensionskasse eine Herabsetzung ihrer Leistungen und zahlte in der Folgezeit an den Kläger eine verringerte Pensionskassenrente aus. Der Kläger hat von der Beklagten ua. den Ausgleich der Beträge verlangt, um die die Pensionskasse ihre Leistungen herabgesetzt hatte.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten blieb vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts insoweit erfolglos. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger die Beträge zu zahlen, um die die Pensionskasse ihre Leistungen herabgesetzt hat. Zwar haben die Parteien vereinbart, dass für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung, die über die Pensionskasse durchgeführt werden, die jeweils gültige Satzung der Pensionskasse maßgeblich sein soll. Die dynamische Inbezugnahme der Satzung der Pensionskasse erstreckt sich jedoch nicht auf die Satzungsbestimmung, die der Pensionskasse das Recht gibt, Fehlbeträge durch Herabsetzung ihrer Leistungen auszugleichen.
VII.
Befristung des Urlaubsabgeltungsanspruchs - Aufgabe der Surrogatstheorie
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.06.2012, Az. 9 AZR 652/10
Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG). Diese Befristung galt nach bisheriger Senatsrechtsprechung grundsätzlich auch für den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs, weil der Abgeltungsanspruch als Ersatz (Surrogat) für den wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr realisierbaren Urlaubsanspruch verstanden wurde. Dieser Anspruch ist aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben nach der neueren Rechtsprechung des Senats allerdings dann nicht ebenso wie der Urlaubsanspruch befristet, wenn der Arbeitnehmer über den Übertragungszeitraum hinaus arbeitsunfähig ist.
Der Kläger war beim Beklagten seit dem 4. Januar 2008 als Operating-Manager beschäftigt. Im Kündigungsrechtsstreit der Parteien stellte das Arbeitsgericht mit rechtskräftigem Urteil vom 27. November 2008 fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Juli 2008 endete. Dem Kläger standen zu diesem Zeitpunkt jedenfalls 16 Tage Urlaub zu. Mit einem Schreiben vom 6. Januar 2009 verlangte er vom Beklagten ohne Erfolg, diesen Urlaub abzugelten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Der Abgeltungsanspruch des Klägers ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen nicht am 31. Dezember 2008 untergegangen. Der gesetzliche Urlaubsabgeltungsanspruch unterfällt als reiner Geldanspruch unabhängig von der Arbeitsunfähigkeit oder Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers nicht dem Fristenregime des Bundesurlaubsgesetzes. Der Kläger musste deshalb die Abgeltung seines Urlaubs nicht im Urlaubsjahr 2008 verlangen. Sachliche Gründe dafür, warum für einen arbeitsfähigen Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses andere Regeln für den Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs gelten sollen als für einen arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, bestehen nicht. Der Senat hält daher auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, an der Surrogatstheorie nicht fest.
VIII.
Arbeitsvertrag - pauschaler Verweis auf Tarifvertrag wirksam
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 19.04.2012, Az. 5 Sa 1607/11
Eine in einem vorformulierten Arbeitsvertrag enthaltene Verweisungsnorm, die auf Tarifverträge verweist, die von sechs Gewerkschaften abgeschlossen werden können, ist wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gem. § 307 I Satz 2 BGB unwirksam.
IX.
Tariffähigkeit der CGZP
Bundesarbeitsgericht, Beschlüsse vom 22.05.2012, Az. 1 ABN 27/12 und 23.05.2012, Az. 1 AZB 58/11 sowie Az. 1 AZB 67/11
Die am 11. Dezember 2002 gegründete Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) war nie tariffähig.
Nach dem Beschluss des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 (- 1 ABR 19/10 -) ist sie keine Spitzenorganisation, die in eigenem Namen Tarifverträge abschließen kann. Die zeitlichen Wirkungen des Senatsbeschlusses betrafen die im Entscheidungszeitpunkt geltende Satzung der CGZP und waren daher auf den Zeitraum ab dem 8. Oktober 2009 beschränkt.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat durch Beschluss vom 9. Januar 2012 (- 24 TaBV 1285/11 ua. -) die fehlende Tariffähigkeit der CGZP auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer früheren Satzungen vom 11. Dezember 2002 und vom 5. Dezember 2005 festgestellt. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der Erste Senat mit Beschluss vom 22. Mai 2012 (- 1 ABN 27/12 -) zurückgewiesen. In zwei weiteren Entscheidungen vom 23. Mai 2012 hat der Senat entschieden, dass durch seinen Beschluss vom 14. Dezember 2010 und die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012 die fehlende Tariffähigkeit der CGZP seit ihrer Gründung rechtskräftig festgestellt ist.
Die bei den Arbeits- und Sozialgerichten anhängigen Verfahren, in denen sich die Tariffähigkeit der CGZP als entscheidungserhebliche Vorfrage stellt, können damit ohne die erneute Einleitung eines Beschlussverfahrens nach § 97 ArbGG fortgeführt werden.
X.
Risiko der mangelnden Verwendung der Arbeitskraft
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 26.04.2012, Az. 24 Ca 7542/11
1)Das Risiko der mangelnden Verwendung der Arbeitskraft (Verwendungsrisiko) hat im Falle des Entzuges einer für die Erbringung der Arbeit vom Auftraggeber (hier: der US-Army) vorgeschriebenen Einsatzgenehmigung der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu tragen, wenn nach dem Arbeitsvertrag das Arbeitsverhältnis durch den Entzug der Einsatzgenehmigung automatisch mit Ablauf der Kündigungsfrist endet und der Arbeitnehmer nach der vertraglichen Regelung bis dahin unter Anrechnung von Urlaub freigestellt sein soll.
2)Die mangelnde Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers gemäß § 297 BGB steht seinem Vergütungsanspruch in diesem Fall nicht entgegen.
XI.
Betriebsübergang im Bewachungsgewerbe
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.01.2012, Az.17 Sa 21/11
Die Neuvergabe eines Auftrags zur Erbringung von umfassenden Sicherheitsdienstleistungen (Betriebsschutz- und Objektleitung, Sicherheitsleitstelle, Besucherempfang, Ausweismanagement, Parkplatzverwaltung, Schließsysteme, vorbeugender Brandschutz, Sicherheitssysteme und Streifen- und Kontrolldienst) kann einen Betriebsübergang nach § 613a BGB darstellen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung kann hierbei ein ausschlaggebendes Kriterium sein, dass der bisherige Auftragnehmer ein speziell für die Bedürfnisse des Auftraggebers entwickeltes DV-Sicherheitssystem eingesetzt hat, dieses System unverzichtbare Voraussetzung für die effiziente Wahrnehmung des Auftrags ist und der neue Auftragsnehmer dieses DV-System weiterhin verwendet (Abgrenzung gegenüber BAG 25. September 2008 - 8 AZR 607/07).
XII.
Sachgrundlose Befristung/Verlängerung/Zeitpunkt/Schriftform
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 19.04.2012, Az. 8 Sa 63/12
1)Unwirksame Verlängerung des sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrages durch schriftliche Vereinbarung erst nach Ablauf des vorangehenden Befristungszeitraums.
2)Rechtzeitige mündliche Verlängerungsabrede wahrt nicht die Schriftform; keine Heilung möglich
XIII.
Anfechtung einer Betriebsratswahl;
Landesarbeitsgericht Hamm, Beschluss vom 13.04.2012, Az. 10 TaBV 109/11
Die nicht rechtzeitige Einladung zur Betriebsversammlung zwecks Wahl eines Wahlvorstands nach § 17 BetrVG kann zur Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl führen, wenn nicht sichergestellt ist, dass alle Arbeitnehmer des Betriebes von ihr Kenntnis nehmen können und dadurch die Möglichkeit erhalten, an der Betriebsversammlung teilzunehmen und an der Wahl des Wahlvorstandes mitzuwirken.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
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