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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Fahrlässigkeit des Bankkunden beim sog. Pharming
BGH, Urteil vom 24.04.2012, Az. XI ZR 96/11
Ein Bankkunde, der im Online-Banking Opfer eines Pharming-Angriffs wird, handelt fahrlässig, wenn er beim Log-In-Vorgang trotz ausdrücklichen Warnhinweises gleichzeitig zehn TAN eingibt.
II.
Anwaltsregress, Regressverjährung, subjektive Voraussetzungen, Parallelwertung in der Laiensphäre
OLG Hamm, Urteil vom 24.05.2012, Az. - I-28 U 152/11
Der Verjährungsbeginn gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Tatsachen voraus. Nicht erforderlich ist in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Auch die Kenntnis der einen Anwaltsregressanspruch begründenden Umstände setzt keine Parallelwertung in der Laiensphäre voraus.
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2012/I_28_U_152_11urteil20120424.html
III.
Oberlandesgericht Köln: Keine generelle Haftung des Internetanschlussinhabers für Urheberrechtsverletzungen durch den Ehepartner
OLG Köln, Urteil vom 16.05.2012, Az. 6 U 239/11
Mit einem am Mittwoch, den 16. Mai 2012 verkündeten Urteil hat der u.a. für Urheberrechtsfragen zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln über die Frage entschieden, wann ein Internetanschlussinhaber für Urheberrechtsverletzungen haftet, die von seinem den Anschluss mitbenutzenden Ehegatten begangen wurden (Az: 6 U 239/11).
In dem zur Entscheidung stehenden Fall wurde über den Internetanschluss der beklagten Ehefrau an zwei Tagen jeweils ein Computerspiel zum Download angeboten. Die Inhaberin des Urheberrechts an diesem Spiel mahnte die Beklagte ab. Die Beklagte nahm die Abmahnung nicht hin, sondern widersprach. Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Landgericht Köln verteidigte sich die Beklagte damit, das Spiel sei nicht von ihr selbst angeboten worden. Der Anschluss sei auch und sogar hauptsächlich von ihrem - zwischenzeitlich verstorbenen - Ehemann genutzt worden. Das Landgericht hatte der Klage stattgegeben und die Ehefrau zu Unterlassung und Schadensersatz einschließlich Erstattung der Abmahnkosten verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Im Prozess war zum einen die Frage streitig, wer darzulegen und ggf. zu beweisen hat, ob eine Urheberrechtsverletzung vom Anschlussinhaber selbst oder einem Dritten begangen worden ist. Hier hat der Senat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes fortgeführt, dass zwar eine Vermutung dafür spreche, dass der Anschlussinhaber selbst der Täter gewesen sei. Lege der Inhaber jedoch - wie hier - die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes dar, müsse der Inhaber des Urheberrechts den Beweis für die Täterschaft führen. Da die Klägerin im vorliegenden Fall keinen Beweis für die Urheberrechtsverletzung durch die beklagte Ehefrau angeboten hatte, war davon auszugehen, dass das Computerspiel von dem Ehemann zum Download angeboten worden war.
Somit kam es auf die zweite Frage an, nämlich ob der Anschlussinhaber auch für Urheberrechtsverletzungen haftet, die nicht von ihm selbst, sondern von einem Dritten begangen werden. Hierzu vertrat das Gericht die Auffassung, dass die bloße Überlassung der Mitnutzungsmöglichkeit an den Ehegatten noch keine Haftung auslöst. Eine solche könne allenfalls dann in Betracht kommen, wenn entweder der Anschlussinhaber Kenntnis davon hat, dass der Ehepartner den Anschluss für illegale Aktivitäten nutzt (was hier nicht der Fall war), oder wenn eine Aufsichtspflicht bestünde. Eine Prüf- und Kontrollpflicht wird angenommen, wenn Eltern ihren Anschluss durch ihre (minderjährigen) Kinder mitnutzen lassen und diese im Internet Urheberrechtsverletzungen begehen. Eine solche Überwachungspflicht bestehe aber nicht im Verhältnis zwischen Ehepartnern.
Der Senat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, da die Frage der Verantwortlichkeit von Internetanschlussinhabern für eine Verletzung von Urheberrechten durch ihre Ehepartner bisher nicht höchstrichterlich geklärt ist.
http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseOLGs/21_05_2012/index.php
IV.
Urlaubsabgeltung - Zusage – Kündigungsschreiben
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 04.04.2012, Az. 9 Sa 797/11
1.Die Erklärung in einem Kündigungsschreiben, es werde eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen abgegolten, stellt ein deklaratorisches Schuldversprechen dar.
2.Ist die Anzahl der Urlaubstage aufgrund einer fehlerhaften Angabe im Personalabrechnungssystem zu hoch angegeben worden, so kann die Erklärung grundsätzlich weder angefochten werden, noch ist es dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf das Schuldversprechen zu berufen.
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2012/9_Sa_797_11urteil20120404.html
V.
Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen
BGH, Urteil vom 18.04.2012, Az. XII ZR 65/10
a.Beim Unterhaltsanspruch wegen Betreuung von Kindern ab der Altersgrenze von drei Jahren ist zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder gesichert werden könnte (im Anschluss an Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770).
b.An die für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts insbesondere aus kindbezogenen Gründen erforderlichen Darlegungen (hier: bei drei minderjährigen Kindern und von der Unterhaltsberechtigten zu leistenden Fahrdiensten an den Nachmittagen) sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen (im Anschluss an Senatsurteil vom 15. Juni 2011 - XII ZR 94/09 - FamRZ 2011, 1357).
c.Zur Beurteilung einer überobligationsmäßigen Belastung im Rahmen der Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist auch der Aspekt einer gerechten Lastenverteilung zwischen unterhaltsberechtigtem und unterhaltspflichtigem Elternteil zu berücksichtigen (im Anschluss an Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770; BGHZ 177, 272 = FamRZ 2008, 1739 und vom 21. April 2010 - XII ZR 134/08 - FamRZ 2010, 1050).
d.Hat der Unterhaltspflichtige nach dem - unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbaren - Verlust seines Arbeitsplatzes eine Abfindung erhalten und hat er im Anschluss daran eine neue Arbeitsstelle mit dauerhaft geringerem Einkommen gefunden, so ist die Abfindung bis zur Höchstgrenze des Bedarfs aufgrund des früheren Einkommens grundsätzlich für den Unterhalt zu verwenden (im Anschluss an Senatsurteile BGHZ 172, 22 = FamRZ 2007, 983 und vom 2. Juni 2010 - XII ZR 138/08 - FamRZ 2010, 1311; teilweise Aufgabe von Senatsurteil BGHZ 153, 358 = FamRZ 2003, 590).
e.Ob eine Aufstockung bis zum bisherigen Einkommen geboten ist und der bisherige Lebensstandard vollständig aufrechterhalten werden muss, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen, insbesondere auch nach der vom Unterhaltspflichtigen zu erwartenden weiteren Einkommensentwicklung.
VI.
Fehlende Tariffähigkeit der CGZP - Aussetzung von Lohnzahlungsverfahren
BAG, Beschluss vom 23.05.2012, Az. 1 AZB 58/11
1.Der Streitgegenstand eines nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG eingeleiteten Verfahrens über die Tariffähigkeit oder die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung erfasst neben dem im Beschlusstenor bezeichneten Zeitpunkt weitere Zeiträume, wenn die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften in diesen nur einheitlich beurteilt werden können.
2.Nach der Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012 (- 24 TaBV 1285/11 ua. -) durch Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Mai 2012 (- 1 ABN 27/12 -) steht rechtskräftig fest, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) auch im zeitlichen Geltungsbereich ihrer Satzungen vom 11. Dezember 2002 und vom 5. Dezember 2005 nicht tariffähig war.
VII.
Fahrerlaubnisentziehung - Glaubhaftigkeit der Behauptung eines erstmaligen Cannabiskonsums - Beweiswürdigung
Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.05.2012, Az. 16 B 536/12
1.Nach der Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss kann auf einen mehr als einmaligen (experimentellen) Cannabisgebrauch geschlossen werden, wenn der auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber einen Erstkonsum nicht einmal behauptet, geschweige denn die näheren Umstände konkret und glaubhaft darlegt.
2.Die Unwahrscheinlichkeit, dass ein Erstkonsument bereits kurze Zeit nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug führt und dann auch noch in eine Verkehrskontrolle gerät, rechtfertigt es, dem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber eine gesteigerte Mitwirkungsverantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts aufzuerlegen.
3.Kommt der Betroffene seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nach, obwohl ihm das ohne Weiteres möglich und zumutbar ist und er sich der Erheblichkeit der in Rede stehenden Umstände bewusst sein muss, ist es zulässig, dieses Verhalten bei der Beweiswürdigung zu seinen Lasten zu berücksichtigen.
4.Wie OVG Münster vom 12.03.2012 - 16 B 1294/11 -.
VIII.
Berücksichtigung privater Krankenversicherungsbeiträge bei der Einkommenspfändung
LG Stuttgart, Beschluss vom 10.05.2012, Az. 19 T 353/11
Der gem. § 850e Nr. 1 Satz 2 lit. b ZPO zu berücksichtigende Betrag für die Beiträge zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung ist nach der Einführung des sog. Basistarifs in der privaten Krankenversicherung auf den Höchstbeitragssatz der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung begrenzt. Die Berücksichtigung höherer als dieser Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge würde den Rahmen des Üblichen i.S.v. § 850e Nr. 1 Satz 2 lit. b ZPO übersteigen.
IX.
Ermittlung eines Pflichtteilsanspruchs: Bewertung eines landwirtschaftlichen Anwesens; Wertabschläge bei Berücksichtigung von Verwendungsentscheidungen des Erben; Auflagen des Erblassers oder Altlasten
OLG München, Urteil vom 04.04.2012, Az. 3 U 4952/10
1.Bei der Pflichtteilsberechnung ist der gemeine Wert zugrunde zu legen, also der Wert, den der Nachlassgegenstand für jeden hat; er ist grundsätzlich mit dem am Markt erzielbaren Normalverkaufswert gleichzusetzen.(Rn.28)
2.Bei der Unternehmensbewertung ist auch nicht die konkrete Verwendungsentscheidung des Erben maßgebend, da sonst der Pflichtteilsberechtigte einer willkürlichen Verwertungsentscheidung des Erben ausgeliefert würde.(Rn.28)
3.Entsprechend scheiden auch Auflagen für die Berechnung des Pflichtteils aus; dies ist eine notwendige Folge des Grundsatzes, dass der Erblasser Pflichtteilsrechte durch Verfügungen von Todes wegen nicht beeinträchtigen kann.(Rn.29)
4.Ein Wertabschlag bei einem Wohnrecht oder bei Altlasten eines Grundstücks sind nur dann zu berücksichtigen, wenn der Grundbesitz des Erblassers bereits zu Lebzeiten mit einem dinglichen Recht zugunsten Dritter bzw. mit einem Rückkaufsrecht belastet war.(Rn.29)
X.
Kündigungsschreiben - Urlaubsabgeltung – Zusage
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 04.04.2012, Az. 9 Sa 797/11
1.Die Erklärung in einem Kündigungsschreiben, es werde eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen abgegolten, stellt ein deklaratorisches Schuldversprechen dar.
2.Ist die Anzahl der Urlaubstage aufgrund einer fehlerhaften Angabe im Personalabrechnungssystem zu hoch angegeben worden, so kann die Erklärung grundsätzlich weder angefochten werden, noch ist es dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf das Schuldversprechen zu berufen.
Die Urteile wurden von Rechtsanwalt Michael Henn zusammengestellt.
Michael Henn ist Schriftleiter der mittelstandsdepesche und Vizepräsident der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
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