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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart


I.
Anspruch auf Vereinbarung eines Versorgungsrechts
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.05.2012, Az. 3 AZR 128/11

Bietet der Arbeitgeber vorbehaltlos über Jahre hinweg seinen Arbeitnehmern bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen den Abschluss eines Versorgungsvertrages an, der ua. eine Versorgung nach beamtenähnlichen Grundsätzen vorsieht, so ist er aufgrund betrieblicher Übung verpflichtet, allen anderen Arbeitnehmern, die die Voraussetzungen erfüllen, den Abschluss eines inhaltsgleichen Versorgungsvertrages anzubieten.

Die beklagte Landesbank ist im Jahre 1972 aus einer Fusion hervorgegangen. Bestandteil des Fusionsvertrags ist eine „Personalvereinbarung“ (sog. PV 72). Nach deren Nr. 3.2 können Mitarbeiter, die mindestens 20 Jahre im Kreditgewerbe beschäftigt waren, davon mindestens 10 Jahre bei den fusionierten Instituten oder bei der Bayerischen Landesbank – Girozentrale -, einen Rechtsanspruch auf Versorgung nach beamtenähnlichen Grundsätzen (sog. Versorgungsrecht) erhalten; über die Erteilung des Versorgungsrechtes entscheidet nach Nr. 3.2 PV 72 der Vorstand. Die Beklagte bot seit 1972 (nahezu) allen Arbeitnehmern, die eine Dienstzeit von 20 Jahren im Kreditgewerbe, davon mindestens 10 Jahre bei der Bayerischen Landesbank zurückgelegt, eine gute Beurteilung durch ihre Vorgesetzten erhalten hatten und in einer gesundheitlichen Verfassung waren, die eine vorzeitige Zur Ruhesetzung nicht erwarten ließ, Versorgungsrechte an. Anfang des Jahres 2009 beschloss die Beklagte, die Vereinbarung von Versorgungsrechten einzustellen. Dem Kläger, der die Voraussetzungen am 1. Januar 2010 erfüllte, wurde kein Versorgungsvertrag angeboten.

Die auf Abgabe eines Vertragsangebots durch die Beklagte gerichtete Klage hatte vor dem Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts, wie schon in den Vorinstanzen, Erfolg. Aufgrund der seit 1972 geübten Praxis bestand bereits bei Beginn des Arbeitsverhältnisses des Klägers am 1. Januar 1990 im Unternehmen der Beklagten eine betriebliche Übung, die die Beklagte verpflichtet, Arbeitnehmern nach einer 20jährigen Tätigkeit im Kreditgewerbe, davon mindestens 10 Jahre bei der Beklagten und bei Erfüllung der beiden weiteren Voraussetzungen (gute Beurteilung und gesundheitliche Verfassung, die eine vorzeitige Zur Ruhesetzung nicht erwarten lässt) die Vereinbarung eines Versorgungsvertrags anzubieten. Da der Kläger diese Voraussetzungen am 1. Januar 2010 erfüllte, hat er einen Anspruch auf Abgabe eines entsprechenden Vertragsangebots durch die Beklagte erworben.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=15899&pos=0&anz=34&titel=Anspruch_auf_Vereinbarung_eines_Versorgungsrechts

II.
Inkrafttreten eines Tarifvertrages nach Betriebsübergang - Ansprüche gegen
den Erwerber?
Bundesarbeitsgericht, Urteile vom 16.05.2012, Az. 4 AZR 320/10 und 321/10

Tritt ein Tarifvertrag nicht mit seinem Abschluss, sondern erst später in Kraft, ist für den Beginn der Tarifgeltung der Zeitpunkt des Inkrafttretens maßgebend. Zuvor gehört der tarifvertragliche Regelungsbestand nicht zu den Rechten und Pflichten aus dem im Zeitpunkt eines Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnis nach § 613a Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB. Nach Betriebsübergang kommt bei einem zuvor noch nicht in Kraft getretenen Haustarifvertrag des Veräußerers eine Verbindlichkeit der Tarifnorm auch nicht über eine arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die „Vorschriften der jeweils gültigen Tarifverträge“ in Betracht, weil diese nicht Haustarifverträge eines anderen Unternehmens erfasst.

In zwei überwiegend parallel liegenden Rechtssachen ging es um einen Anspruch aus einem Tarifvertrag über eine Zusatzzahlung (TV Zusatzzahlung). Diese Zahlung stand im Zusammenhang mit einem zuvor erbrachten Verzicht auf tarifvertragliche Rechte, der in einem gesonderten Sanierungstarifvertrag vereinbart worden war. Der TV Zusatzzahlung wurde im Herbst 2004 gleichzeitig mit dem sofort in Kraft tretenden Sanierungstarifvertrag verhandelt und abgeschlossen, sollte jedoch, um vorherige Rückstellungen in der Bilanz zu vermeiden, erst am 1. Januar 2008 in Kraft treten. Bereits zuvor - zum 1. Januar 2006 - gingen die Arbeitsverhältnisse der Klägerinnen, die in einem Callcenter tätig sind, im Wege des Betriebsübergangs auf die im vorliegenden Rechtsstreit beklagte Arbeitgeberin über.

Die Vorinstanzen haben den Klagen auf Zahlung aus dem TV Zusatzzahlung entsprochen. Die Revisionen der Beklagten vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts hatten Erfolg. Ein Anspruch der klagenden Arbeitnehmerinnen ergibt sich weder aus § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. den Normen des TV Zusatzzahlung noch aus der in ihren Arbeitsverträgen vereinbarten Bezugnahmeklausel. Soweit sich die Klägerinnen auf das Maßregelungsverbot i.V.m. dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen haben, hatten sie bereits deshalb keinen Erfolg, weil sie nicht die der begünstigten Arbeitnehmergruppe gewährten Leistungen - Gutscheine und Gutschreibungen auf Kundenkonten sowie im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung -, sondern Auszahlung eines Geldbetrages verlangten.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=15911&pos=0&anz=36&titel=Inkrafttreten_eines_Tarifvertrages_nach_Betriebs%FCbergang_-_Anspr%FCche_gegen_den_Erwerber

III.
Urlaubsabgeltung - Zusage – Kündigungsschreiben
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 04.04.2012, Az. 9 Sa 797/11

1.Die Erklärung in einem Kündigungsschreiben, es werde eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen abgegolten, stellt ein deklaratorisches Schuldversprechen dar.

2.Ist die Anzahl der Urlaubstage aufgrund einer fehlerhaften Angabe im Personalabrechnungssystem zu hoch angegeben worden, so kann die Erklärung grundsätzlich weder angefochten werden, noch ist es dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf das Schuldversprechen zu berufen.

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2012/9_Sa_797_11urteil20120404.html

IV.
Im Reinigungsgewerbe kein Lohn für arbeitsfreie Zwischenzeiten
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.03.2012, Az. 3 Sa 440/11

Nach dem allgemeinverbindlichen Rahmentarifvertrag für das Gebäudereinigerhandwerk vom 04.10.2003 ist die zwischen dem Ende der Reinigung des einen Objekts und dem Beginn der Reinigung im Folgeobjekt liegende arbeitsfreie Zeit – sogenannte Zwischenzeit – regelmäßig nicht zu
vergüten.

Die Klägerin ist seit Mitte 2008 als Innenreinigerin bei einem schleswig-holsteinischen Reinigungsunternehmen beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der allgemeinverbindliche Rahmentarifvertrag für das Gebäudereinigerhandwerk Anwendung (RTV). Die Klägerin wird in verschiedenen Reinigungsobjekten sowohl vormittags als auch nachmittags eingesetzt. Die einzelnen Arbeitseinsätze reihen sich nicht nahtlos aneinander, sodass zwischen den Arbeitseinsätzen unterschiedlich lange,
teilweise bis zu vier Stunden Leerlaufzeiten entstehen, die die Klägerin oft zu Hause verbringt. Die Fahrtzeiten zwischen den einzelnen Reinigungsobjekten werden von der Beklagten vergütet, nicht hingegen die arbeitsfreie sonstige Zwischenzeit. Die Klägerin hat gemeint, dass sie auch für die arbeitsfreien Zwischenzeiten einen tariflichen Lohnanspruch habe. Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben die hierauf gerichtete Lohnklage abgewiesen (LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 21.03.2012, Aktenzeichen 3 Sa 440/11).

Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass gemäß § 4 RTV das Tarifentgelt nur für die wirklich geleistete Arbeitszeit gezahlt werde. § 3 RTV lege wiederum fest, dass die zu vergütende Arbeitszeit regelmäßig an der Arbeitsstelle beginne und ende und darüber hinaus nur die zwischen Beginn und Ende der Arbeitszeit aufgewendete Wegezeit als Arbeitszeit gelte. Aus dem Wortlaut und der Auslegung der Tarifnorm sowie der dazugehörigen Erläuterung ergebe sich, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien neben der reinen Arbeitszeit nur „Wegezeiten“, das heißt Fahrtzeiten, und nicht sonstige arbeitsfreie Zwischenzeiten als Arbeitszeit zu vergüten seien. Dagegen spreche auch nicht, dass die Klägerin die kaum individuell gestaltbaren Zwischenzeiten oftmals nicht sinnvoll nutzen könne. Denn maßgeblich sei nur der im Wortlaut der Tarifnorm zum Ausdruck gekommene Wille der Tarifvertragsparteien. Zudem sei ein Tarifvertrag immer ein ausgehandeltes Gesamtergebnis, für dessen Erzielung beide Tarifvertragsparteien Kompromisse eingingen.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

http://www.schleswig-holstein.de/LAG/DE/Service/MedienInformationen/PI/prm612.html

V
Jubiläumszahlung; Auslegung Betriebsvereinbarung; Urlaubsabgeltung im Baugewerbe
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 25.04.2012, Az. 11 Sa 1064/11

Auslegung einer Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer Jubiläumsvergütung; kein Anspruch gegenüber Arbeitgeber auf Urlaubsabgeltung oder höheres Urlaubsentgelt im Baugewerbe trotz Verstoßes gegen Europarecht

http://www.arbg.bayern.de/muenchen/entscheidungen/neue/22281/index.html

VI.
Weihnachtsgeld: Zur Konkurrenz zwischen Flächentarifvertrag (hier BAT/TVöD) und ungünstigerem Haustarifvertrag bei sogenannten „Altverträgen“
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteile vom 11.10.2011, Az. 2 Sa 247/11,
vom 22.3.2012 Az. 4 Sa 244/11 und Az. 4 Sa 255/11 und vom 21.03.2012 Az. 6 Sa 256/11

Wird von tarifgebundenen Arbeitgebern in vor dem 01.01.2002 abgeschlossenen Arbeitsverträgen mit nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten die Anwendbarkeit des jeweiligen BAT und der sich diesem Tarifvertrag anschließenden Tarifverträge vereinbart, handelt es sich regelmäßig um eine sogenannte „Gleichstellungsklausel“ im Sinne der jahrelangen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Ihr Zweck ist, dass alle diejenigen Tarifverträge anwendbar sein sollen, die für den Arbeitgeber gelten. Dann verdrängt der Haustarifvertrag den im Vertrag ausdrücklich genannten Flächentarifvertrag. Höhere haustarifliche Zahlungen an Gewerkschaftsmitglieder sind wirksam. (Urteile des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 11.10.2011 – Az. 2 Sa 247/11; vom 22.3.2012 – Az. 4 Sa 244/11 und Az. 4 Sa 255/11 und vom 21.03.2012 Az. 6 Sa 256/11).

Seit 2007 streiten sich – mit unterschiedlichen Fallkonstellationen – viele Beschäftigte einer in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern agierenden Krankenhausholding um die Höhe des Weihnachtsgeldes. Dem Konzern gehören diverse unterschiedliche Klinikbetreiber als Tochtergesellschaften an, so auch die hier auf Zahlung von höherem Weihnachtsgeld verklagten Arbeitgeber. Vor den gesellschaftsrechtlichen Veränderungen und der Entstehung der Holding waren viele dieser Krankenhäuser, vor allem die hier verklagten, da kommunal betrieben, an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gebunden. Die Anwendung des BAT wurde mit allen Beschäftigten formularmäßig vereinbart. Den Beschäftigten wurden einheitlich die Sonderzuwendungen des öffentlichen Dienstes nach dem Tarifwerk BAT, später dem TVöD gezahlt. Die Anwendung des BAT ist auch in den streitigen Arbeitsverträgen aller Klägerinnen und Kläger ausdrücklich vereinbart, die alle lange vor dem 01.01.2002 geschlossen wurden.

Mit Datum vom 25.03.2007 schlossen die Gewerkschaften ver.di und NGG mit der Krankenhausholding einen eigenen Sonderzuwendungstarif als Haustarifvertrag ab. Danach erhalten die Arbeitnehmer mit Wirkung ab 2007 für jedes Wirtschaftsjahr eine vom Betriebsergebnis abhängige Sonderzahlung auf Basis eines bestimmten Faktors. Für die Mitglieder der Gewerkschaften ver.di und NGG ergeben sich gegenüber den übrigen Arbeitnehmern außerdem jeweils höhere Faktoren. Die nicht gewerkschaftlich organisierten Klägerinnen und Kläger erhielten in Anwendung des Haustarifvertrages für die unterschiedlich eingeklagten Zeiträume ab 2007 teils weniger als die Hälfte der BAT--Bundes-Angestelltentarifvertrag/TVöD-Ansprüche. Gestritten wird jetzt um die Differenz zum BAT TVöD, mindestens aber um den höheren haustariflichen Anspruch für Gewerkschaftsmitglieder.

Das Landesarbeitsgericht hat, wie schon zuvor das Arbeitsgericht Flensburg in den oben genannten Verfahren die Zahlungsklagen abgewiesen. Es handelte sich jeweils um vor der sogenannten Schuldrechtsreform vom 01.01.2002 abgeschlossene sogenannte „Altverträge“. Die Verweisungsklauseln seien nach der langjährigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts deshalb noch als „Gleichstellungsabrede“ auszulegen. Die Gleichstellung führe dazu, dass für die nicht gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten auch die – ggf. sachnäheren (Haus-) Tarifverträge gelten, die auch für die beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder Anwendung finden. Damit sei der BAT/TVöD durch den Haustarif verdrängt worden. Die im Haustarifvertrag geregelte höhere Sonderzuwendung für Gewerkschaftsmitglieder stehe den nicht gewerkschaftlich organisierten Klägern nicht zu. Die tarifliche Besserstellung von bestimmten Gewerkschaftsmitgliedern sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zulässig.

In allen Rechtsstreitigkeiten ist die Revision zugelassen worden. Gegen das Urteil Az. 2 Sa 247/11 wurde bereits beim Bundesarbeitsgericht Revision unter dem Az. 4 AZR 870/11 eingelegt. In den anderen Verfahren läuft die Rechtsmittelfrist noch.

http://www.schleswig-holstein.de/LAG/DE/Service/MedienInformationen/PI/prm312.html


VII.
Eine Kündigung ist nicht wirksam, nur weil Arbeitskollegen ihrerseits mit Eigenkündigung drohen
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.03.2012, Az.2 Sa 331/11

Bevor ein Arbeitgeber auf Druck von Arbeitskollegen eventuell kündigen darf, muss er konkrete Maßnahmen ergriffen haben, die Drucksituation zu beseitigen. Ein Arbeitsverhältnis kann aber gerichtlich gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst werden, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber bei einer Behörde anzeigt, ohne vorher mit ihm eine Klärung versucht zu haben Das hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit Urteil vom 20.03.2012 entschieden (Az.: 2 Sa 331/11).

Der Kläger war als Vertriebsingenieur bei der Beklagten tätig. Nach einem Freizeitunfall war er in 2009 mehrere Monate arbeitsunfähig krank. Nach seiner Gesundung befand er sich – neben anderen Kollegen – seit November 2009 in Kurzarbeit Null. Die Arbeitgeberin versuchte, den Kläger zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu bewegen und bot ihm eine Abfindung an. Eine Einigung erfolgte nicht. Im Februar 2011 kündigte die Arbeitgeberin mit der Begründung, zwei eng mit dem Kläger zusammenarbeitende Arbeitskollegen aus dem Vertrieb, die für hohen Umsatz sorgten, hätten gedroht, bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers selbst zu kündigen. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis im März 2011 fristgemäß.

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. Die Berufung der Arbeitgeberin hatte insoweit keinen Erfolg. Berufe sich ein Arbeitgeber im Fall einer Kündigung auf eine Drucksituation, so müsse er darlegen, welche konkreten Maßnahmen er ergriffen habe, um die Drucksituation in den Griff zu bekommen. Der Hinweis auf allgemeine Gespräche reiche nicht aus.

Die Arbeitgeberin hat dann aber vor dem Landesarbeitsgericht einen Antrag gestellt, das Arbeitsverhältnis gegen den Willen des Klägers durch das Gericht gegen Zahlung einer geringen Abfindung aufzulösen, weil eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwartet werden könne. Der Kläger hatte nämlich bereits im Zusammenhang mit der Anordnung von Kurzarbeit im November 2009 gegenüber der Bundesagentur für Arbeit geäußert, er werde durch die Arbeitgeberin mit Kurzarbeit bestraft, weil er keiner Trennung zugestimmt habe. So gehe sie immer vor. Die Arbeitgeberin nutze nur die Kurzarbeitsleistungen als Zusatzgeschäft. Während des Kündigungsschutzverfahrens schrieb er nochmals an diese Behörde, die Arbeitgeberin missbrauche gezielt die Kurzarbeitsleistungen. Daraufhin erstattete die Agentur für Arbeit eine Strafanzeige gegen die Arbeitgeberin. Dieses führte zu einem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren gegen sie mit hier unbekanntem Ausgang.

Das Landesarbeitsgericht gab dem Auflösungsantrag statt. Der Kläger habe zunächst eine Klärung mit der Beklagten im Betrieb versuchen müssen. Eine gedeihliche weitere Zusammenarbeit sei hier aber nicht zu erwarten, wenn der Arbeitnehmer sofort eine Anzeige erstatte. Es sei nicht notwendig, dass die Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft gerichtet sei. Vielmehr reiche es aus, wenn die Anzeige zu Ermittlungen gegen den Arbeitgeber führe.

http://www.schleswig-holstein.de/LAG/DE/Service/MedienInformationen/PI/prm512.html


VIII.
Betriebsübergang bei Rettungszweckverband
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.05.2012, Az. 8 AZR 639/10

Wird einer mit der Notfallrettung beauftragten privaten Hilfsorganisation dieser Auftrag gekündigt, so gehen die Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer infolge Betriebsübergangs nur dann auf den Träger des öffentlichen Rettungsdienstes über, wenn dieser die Notfallrettung selbst übernimmt, nicht jedoch, wenn er andere private Hilfsorganisationen damit betraut.

Der Kläger war Rettungssanitäter bei der D-GmbH. Dieser war auf der Grundlage des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG) durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vom Herbst 2006 vom beklagten Rettungszweckverband die Durchführung der Notfallrettung und des Krankentransports in den Versorgungsbereichen Landkreis Leipzig und Döbeln bis zum 31. Dezember 2008 übertragen worden. Die zur Durchführung des Rettungsdienstes notwendigen Einsatzfahrzeuge sowie die Räumlichkeiten der Rettungswachen in Borna und Groitzsch gehören dem Beklagten und wurden der D-GmbH zur Verfügung gestellt. Infolge finanzieller Schwierigkeiten und personeller Probleme konnte der Geschäftsführer der D-GmbH die ordnungsgemäße Leistungserbringung bis zum 31. Dezember 2008 nicht mehr garantieren. Daraufhin kündigte der Beklagte den öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der D-GmbH außerordentlich zum 23. Dezember 2008. An diesem Tag gab die D-GmbH um 07.00 Uhr die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten frei und sämtliche überlassenen Rettungsmittel und Ausrüstungsgegenstände zurück. Die Notfallrettung und den Krankentransport führten sofort drei andere Unternehmen weiter durch. Diese hatte der Beklagte durch Heranziehungsbescheide vom 22. Dezember 2008 dazu verpflichtet, zunächst bis zum 15. Januar 2009. Die Unternehmen nutzten jeweils einige der zuvor der D-GmbH überlassenen Einsatzfahrzeuge und Rettungswachen. Seit Mitte Januar 2009 führen sie die Notfallrettung und den Krankentransport auf der Grundlage öffentlich-rechtlicher Verträge für den
Beklagten durch.

Die Klage auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses zum Beklagten blieb vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist nicht im Wege eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB auf den Beklagten übergegangen. Der Beklagte ist nach der Herausgabe der Rettungsmittel nicht Betriebsinhaber eines Betriebs „Rettungsdienst“ geworden, da er einen solchen Betrieb zu keinem Zeitpunkt verantwortlich geführt hat. Die Heranziehung dreier Unternehmen ab dem 23. Dezember 2009 durch Verwaltungsakt nach dem SächsBRKG hat nicht dazu geführt, dass der Beklagte Betriebsinhaber geworden ist.

http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=15898&pos=0&anz=33&titel=Betriebs%FCbergang_bei_Rettungszweckverband

IX.
Zurückweisung der Betriebsratsanhörung mangels Vorlage einer Vollmachtsurkunde - Annahmeverzug - Insolvenz nach griechischem Recht
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 28.03.2012, Az. 20 Sa 47/11

1.Eine Kündigung ist gemäß § 102 Abs.1 Satz 3 BetrVG unwirksam, wenn das die Betriebsratsanhörung einleitende Schreiben eines für den Arbeitgeber handelnden betriebsfremden Dritten vom Betriebsrat unverzüglich wegen fehlender Vorlage einer Vollmachtsurkunde gerügt und deswegen zurückgewiesen wird. Die analoge Anwendung des § 174 BGB auf diesen Fall der geschäftsähnlichen Handlung rechtfertigt sich aus der bestehenden Regelungslücke und der vergleichbaren Interessenlage, die dem Normzweck des § 174 BGB zugrunde liegt.

2.Die insolvenzrechtliche Einordnung von Annahmeverzugslohnansprüchen, die nach Anordnung eines griechischen Sonderliquidationsverfahrens entstanden sind, richtet sich gemäß § 4 Abs. 1 EuInsVO (Verordnung [EG] Nr. 1346/2000 des Raten vom 29.05.200 über Insolvenzverfahren) nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, also nach griechischem Recht.

http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2012&nr=15621&pos=2&anz=10

X.
Tarifliches Systemanwendungskonzept des § 6.4 ERA-TV
Arbeitsgericht Stuttgart, Beschluss vom 20.04.2012, Az. 20 BV 69/11

"Es ist mit dem tariflichen Systemanwendungskonzept des § 6.4 ERA-TV zur Bewertung und Einstufung von Arbeitsaufgaben nicht vereinbar, wenn Arbeitsaufgaben von Arbeitnehmern in der Einarbeitungszeit unter Verzicht auf die Beschreibung und Bewertung der Arbeitsaufgaben im Entwicklungsstadium unter Anwendung sog. "Entwicklungsstufen" in eine niedrigere Entgeltgruppe eingestuft werden als die der (Ziel-)Arbeitsaufgabe entsprechenden (Ziel-)Entgeltgruppe. Eine solche die "Entwicklungsstufen" einführende Betriebsvereinbarung ist wegen Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam."

http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2012&nr=15630&pos=1&anz=10

XI.
Keine Zuständigkeit der weltlichen Arbeitsgerichte bei Rechtsstreitigkeiten
der Schwerbehindertenvertretung eines kirchlichen Krankenhauses
Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 11.04.2012, Az. 11 TaBV 18/12

http://www.arbg.bayern.de/muenchen/entscheidungen/neue/22257/index.html

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Ihr

Michael Henn

Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
VDAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V.
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