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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
"überflüssige" Änderungskündigung - Versetzung
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 24.10.2011, Az. 16 Sa 711/11
1.Nach ständiger Rechtsprechung des BAG führt eine "überflüssige" Änderungskündigung bei Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt nicht zur Unwirksamkeit der Änderung der Arbeitsbedingungen wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
2.Eine Auslegung des Arbeitsvertrags der Parteien ergibt, dass diese mit der Bezeichnung der Tätigkeit des Klägers als Straßenbahnfahrer-Anwärter nur die erste, dem Kläger zum Zeitpunkt der Einstellung übertragene Tätigkeit bezeichnet haben, ohne die künftige Übertragung einer anderen Tätigkeit auszuschließen. Ein Bewerber um eine Stelle im Öffentlichen Dienst hat regelmäßig davon auszugehen, dass er grundsätzlich verpflichtet ist, jede ihm im Bereich des Arbeitgebers zugewiesene Tätigkeit auszuüben, die den Merkmalen seiner Vergütungsgruppe entspricht.
3.Mit der Übertragung einer Tätigkeit als Pförtner hat der Arbeitgeber das Direktionsrecht wirksam nach § 106 S. 1 GewO ausgeübt, da diese Tätigkeit in dieselbe Vergütungsgruppe wie die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Fahrausweisprüfer eingruppiert ist. Aufgrund der bestehenden Konfliktlage zwischen dem Kläger und seinen Arbeitskollegen wahrte der Arbeitgeber mit der Zuweisung einer anderen Arbeit auch die Grenzen billigen Ermessens, ohne dass es darauf ankommt, wer die Konfliktlage zu vertreten hat.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/r8m/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE110022608%3Ajuris-r03&documentnumber=13&numberofresults=3639&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
II.
Nichtigkeit, Schriftliche Stimmabgabe, Schwerbehindertenvertretung, Wahlanfechtung, Wahlgeheimnis
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 10.11.2011, Az, 9 TaBV 104/11
Das systematische Öffnen der Wahlumschläge durch den Wahlvorstand und der Abgleich der Stimmzettel mit den schriftlichen Erklärungen der Briefwähler begründet als eklatanter Verstoß gegen den elementaren Wahlgrundsatz der geheimen Wahl die Nichtigkeit der Wahl, auch wenn der Verstoß keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis hatte (str.).
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/r8m/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE110022612%3Ajuris-r00&documentnumber=4&numberofresults=3639&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
III.
§ 97 Abs 5 ArbGG
Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 05.12.2011, Az. 16 Ta 387/11
Ein Rechtsstreit darf nur dann nach § 97 Abs. 5 ArbGG ausgesetzt werden, wenn es auf die Frage der Tariffähigkeit tatsächlich ankommt. Zwar ist im Beschwerdeverfahren die Ansicht des aussetzenden Gerichts hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit nur begrenzt überprüfbar. Jedenfalls dann, wenn das Arbeitsgericht selbst davon ausgeht, dass die Klage unschlüssig ist, darf es den Rechtsstreit nicht nach § 97 Abs. 5 ArbGG aussetzen.
http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de/jportal/portal/t/r8m/page/bslaredaprod.psml?doc.hl=1&doc.id=JURE110023286%3Ajuris-r00&documentnumber=1&numberofresults=3639&showdoccase=1&doc.part=K¶mfromHL=true#focuspoint
IV.
Kein Leistungsbonusanspruch mangels Erfolg des Arbeitgebers
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 30.11.2011 - 11 Sa 668/11
Kein Anspruch auf Leistungsbonus mangels Erfolg des Arbeitgebers (Bank) wegen Milliardenverlustes; keine fehlerhafte Ermessensausübung.
Siehe:
http://www.arbg.bayern.de/imperia/md/content/stmas/lag/muenchen/11sa668_11.pdf
V.
Antragsberechtigung entfällt bei Kündigung während Verfahren zur Bestellung eines Wahlvorstands
Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 07.12.2011, Az. 11 TaBV 74/11
Antragsberechtigung für ein Verfahren auf Bestellung des Wahlvorstands entfällt bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses und fehlender Beschäftigung
Siehe:
http://www.arbg.bayern.de/imperia/md/content/stmas/lag/muenchen/11tabv74_11.pdf
VI.
Außerordentliche Kündigung - Rauchverbot - Ersatzmitglied
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2011, Az. 12 Sa 956/11
1.Der nachhaltige Verstoß gegen das wirksame Rauchverbot in einem feuergefährdeten Betrieb ist an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
2.Für die Frage, ob ein Ersatzmitglied gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG gegen eine ordentliche Kündigung geschützt ist, oder aber zur außerordentlichen Kündigung die Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG erforderlich ist, ist auf den Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung abzustellen. Es bleibt offen, ob ein an einem Freitag um 15.10 Uhr in den Briefkasten des Ersatzmitglieds eingeworfenes Schreiben noch an diesem Tag zugeht (§ 130 Abs. 1 BGB).
3.Soweit der besondere Kündigungsschutz des Ersatzmitglieds gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG für Vorbereitungszeiten für konkrete Betriebsratssitzungen gegeben ist, besteht kein Anlass, dies über die bisherige Rechtsprechung (BAG 17.01.1979 - 5 AZR 891/77, DB 1979, 888, Rn. 20 f.) hinaus allgemein auch auf Zeiten vor dem Erholungsurlaub des ordentlichen Mitglieds auszuweiten.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/duesseldorf/lag_duesseldorf/j2011/12_Sa_956_11urteil20111109.html
VII.
Konkludente Vertragsänderung; Verwirkung
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 20.10.2011, Az. 6 Sa 380/11
Im Fall nur verschlechterter Arbeitsbedingungen kann aus der bloßen - widerspruchslosen - Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig nicht auf das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Vertragsänderung geschlossen werden.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/koeln/lag_koeln/j2011/6_Sa_380_11urteil20111020.html
VIII.
Urlaubsansprüche gehen bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres unter und sind bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.12.2011, Az. 10 Sa 19/11
Der Kläger war von 2006 bis zum Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis am 30. November 2010 arbeitsunfähig erkrankt. Er begehrt die Abgeltung von Urlaubsansprüchen der Jahre 2007 bis 2009. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger Abgeltungsansprüche für das Jahr 2009 zugesprochen. Es hat entschieden, dass Urlaubsansprüche aus den Jahren 2007 und 2008 zum Zeitpunkt des Ausscheidens bereits verfallen waren.
Gemäß § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz geht der Urlaubsanspruch am Ende des ersten Quartals des Folgejahres unter. Als Folge der Schultz-Hoff-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH 20. Januar 2009, C-350/06) hat das Bundesarbeitsgericht im Wege der unionsrechtskonformen Rechtsfortbildung entschieden (BAG 24. März 2009, 9 AZR 983/07), dass gesetzliche Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind. Nach der Entscheidung des EuGH vom 22. November 2011 (C-214/10) ist eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre nicht geboten und eine nationale Regelung mit einer Begrenzung des Übertragungszeitraums von 15 Monaten unionsrechtlich nicht zu beanstanden. Eine Abweichung von der durch den nationalen Gesetzgeber geschaffenen Befristungsregelung in § 7 Abs. 3 BUrlG im Wege der unionsrechtlichen Rechtsfortbildung durch die nationale Rechtsprechung ist nur legitimiert, soweit dies das Unionsrecht gebietet. Urlaubsansprüche gehen daher bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres unter und sind bei einer späteren Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht abzugelten.
Siehe:
http://www.lag-baden-wuerttemberg.de/servlet/PB/menu/1273195/index.html?ROOT=1149275
IX.
Betriebliche Altersversorgung; Höchstaltersgrenze; Altersdiskriminierung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.11.2011, Az. 2 Sa 77/11
Eine unangemessen niedrige Höchstaltersgrenze in einer Versorgungsordnung (hier: faktische Höchstaltersgrenze 45 Jahre) verstößt gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters und ist damit unwirksam. Je niedriger die Höchstaltersgrenze ist, desto gewichtiger müssen die Gründe im Sinne des § 10 Sätze 1 und 2 AGG sein.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2011&nr=15116&pos=0&anz=55
X.
Konkurrenztätigkeit während Freistellung - Vergütungsanrechnung
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12.09.2011, Az. 9 Sa 45/11
1.Wird ein Arbeitnehmer während einer vereinbarten unwiderruflichen Freistellung unter Verrechnung von Urlaubsansprüchen unter Verstoß gegen § 241 Abs. II BGB für ein Konkurrenzunternehmen als Arbeitnehmer tätig, finden § 60, 61 HGB keine Anwendung, Schadenersatzansprüche können sich nur aus § 280 BGB ergeben.
2.Er behält mangels anderer Vereinbarung seinen Vergütungsanspruch gegen den bisherigen Arbeitgeber.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2011&nr=15098&pos=8&anz=55
XI.
Außerordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds - heimliche Übertragung einer Betriebsratssitzung an Dritte
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.09.2011, Az. 17 Sa 16/11
Die heimliche Übertragung einer Betriebsratssitzung durch ein Betriebsratsmitglied an Dritte stellt sowohl eine Amtspflicht- als auch eine Vertragspflichtverletzung dar und ist grundsätzlich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen. Dies gilt auch, wenn die Kündigung nur auf dem dringenden Verdacht der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gestützt wird. Im Rahmen der Interessenabwägung kann unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls in diesem Fall jedoch eine Abmahnung als angemessene Maßnahme ausreichend sein.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2011&nr=15068&pos=9&anz=55
XII.
Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung - Wartezeit
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 08.12.2011, Az. 6 AZN 1371/11
1.Der in Art. 30 GRC geregelte Schutz von Arbeitnehmern vor ungerechtfertigter Entlassung ist nach nationalem Recht für Arbeitnehmer während der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG dadurch gewährleistet, dass von den Gerichten für Arbeitssachen überprüft wird, ob die Kündigung gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 Abs. 1 BGB) oder ob sie Treu und Glauben (§ 242 BGB) aus Gründen verletzt, die nicht von § 1 KSchG erfasst sind.
2.Nach der am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Neuregelung des Revisionszugangs zum Bundesarbeitsgericht zählen Landesarbeitsgerichte, die die Revision bzw. die Rechtsbeschwerde nicht zulassen, aufgrund der Möglichkeit, die Nichtzulassungsbeschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung einer Frage des Unionsrechts zu stützen, nicht mehr zum Kreis der vorlagepflichtigen Gerichte iSv. Art. 267 Abs. 3 AEUV.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=en&Datum=2011&nr=15620&pos=0&anz=431
XIII.
Anforderungen an die Hinweispflicht des Arbeitsgerichts gemäß § 6 Satz 2 KSchG
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2012, Az.6 AZR 407/10
Weist das Arbeitsgericht den klagenden Arbeitnehmer gemäß dem Wortlaut des § 6 Satz 1 KSchG darauf hin, dass er sich im Verfahren über seine rechtzeitig erhobene Kündigungsschutzklage bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen kann, so hat es seiner Pflicht aus § 6 Satz 2 KSchG genügt. Beruft sich der Arbeitnehmer trotz eines solchen Hinweises erst später auf weitere Unwirksamkeitsgründe, können diese im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nicht mehr berücksichtigt werden.
Am 1. Juni 2009 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 24. Juni 2009 einigte sich der beklagte Insolvenzverwalter mit dem Betriebsrat auf einen Interessenausgleich mit Namensliste. Im Interessenausgleich erklärte der Betriebsrat, rechtzeitig und umfassend gemäß § 17 KSchG unterrichtet worden zu sein. Diesen Interessenausgleich leitete der Insolvenzverwalter statt einer Stellungnahme des Betriebsrats der Agentur für Arbeit zu. Zu diesem Zeitpunkt war das Original des Interessenausgleichs nur vom Betriebsrat unterzeichnet. Mit Schreiben vom 25. Juni 2009 kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30. September 2009. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung. Das Arbeitsgericht hat die Klägerin in der Ladung zur Güteverhandlung darauf hingewiesen, dass „nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz auch weitere Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht werden können“. Die Rügen eines Verstoßes gegen § 17 KSchG und § 102 Abs. 1 BetrVG hat die Klägerin erstmals in zweiter Instanz erhoben.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat durch Wiedergabe des Gesetzeswortlautes des § 6 Satz 1 KSchG seiner Hinweispflicht auf die verlängerte Anrufungsfrist genügt. Daher hatte der Senat nicht zu entscheiden, ob die Kündigung wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam war.
Ob ein Verstoß gegen § 17 KSchG zur Unwirksamkeit der Kündigung führt und damit § 6 KSchG unterfällt, konnte der Senat offen lassen. Der Beklagte hat seine Pflichten aus § 17 KSchG nicht verletzt. Der Interessenausgleich hat gem. § 125 Abs. 2 InsO die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats ersetzt, obwohl zum damaligen Zeitpunkt das Original nur vom Betriebsrat unterzeichnet war und damit nicht dem Schriftformerfordernis des § 112 Abs. 1 BetrVG genügte.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=15639&pos=2&anz=4
XIV.
Anspruch auf Weihnachtsgratifikation bei gekündigtem Arbeitsverhältnis
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2012, Az. 10 AZR 667/10
Der Anspruch auf eine Weihnachtsgratifikation kann vom ungekündigten Bestehen des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt abhängig gemacht werden. Es kommt nicht darauf an, wer das Arbeitsverhältnis gekündigt hat. Eine entsprechende Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hält einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB stand. Voraussetzung ist, dass nicht die Vergütung von Arbeitsleistungen bezweckt ist.
Die Klägerin macht die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation geltend, die mit der Vergütung für den Monat November zur Auszahlung kommen soll. Nach dem Arbeitsvertrag ist der Anspruch ausgeschlossen, wenn sich das Anstellungsverhältnis im Zeitpunkt der Auszahlung in gekündigtem Zustand befindet. Der Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. November 2009 zum 31. Dezember 2009 gekündigt.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Auf die Revision des Beklagten hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Ob die Zahlung einer Sonderzuwendung unter die Bedingung des ungekündigten Bestehens des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt gestellt werden kann, ist abhängig von dem mit der Zuwendung verfolgten Zweck. Knüpft die Zahlung - wie vorliegend - nur an den Bestand des Arbeitsverhältnisses an, ist eine entsprechende Klausel mit der gesetzlichen Grundkonzeption des § 611 BGB zu vereinbaren und hält einer Inhaltskontrolle stand.
Das Landesarbeitsgericht wird aufzuklären haben, ob der Eintritt der Bedingung treuwidrig herbeigeführt wurde und deshalb nach § 162 Abs. 2 BGB als nicht erfolgt gilt. Die Klägerin hat behauptet, ihr sei gekündigt worden, weil sie nicht freiwillig auf die Zahlung der Weihnachtsgratifikation verzichtet habe.
Siehe:
http://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2012&nr=15644&pos=0&anz=4
XV.
Keine Kündigung wegen des Vorwurfs der Unterschlagung von 14,99 Euro
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 17.01.2012, Az. 17 Sa 252/11
Der Kläger war bei der Beklagten, einem Abfallwirtschaftunternehmen seit dem 01.09.1997 als Verwieger an der Müllrampe tätig. Zu seinen Aufgaben gehörte es u. a., sog. Wiegebelege zu erstellen. Die Beklagte hat dem Kläger vorgeworfen, er solle von einem Privatkunden am 01.06.2010 einmalig einen Betrag von 14,99 EURO vereinnahmt, aber nicht ordnungsgemäß verbucht haben. Die Quittung habe er deshalb nicht erteilt, um den Betrag selbst zu behalten. Der daraus resultierende Vorwurf der Unterschlagung ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger hatte bei der letzten Betriebsratswahl kandidiert. Ausweislich des Ergebnisses der Wahl vom 19.05.2010 war er nicht in den Betriebsrat gewählt worden. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach erfolgter Betriebsratsanhörung am 15.06.2010 fristlos, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 31.12.2010.
Das Arbeitsgericht Solingen ist in seinem Urteil vom 11.01.2011 der Argumentation der Beklagten nicht gefolgt und hat die Kündigung für rechtsunwirksam erklärt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Wie bereits das Arbeitsgericht ist auch das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen hat, die eine Tatkündigung wegen Unterschlagung rechtfertigen. Auch einen dringenden Taterdacht, der eine Verdachtskündigung rechtfertige, sah das Landesarbeitsgericht ebenso wie das Arbeitsgericht nicht als gegeben an.
Die Revision ist nicht zugelassen.
Siehe:
http://www.justiz.nrw.de/JM/Presse/presse_weitere/PresseLArbGs/17_01_2012/index.php
XVI.
Beibringungsgrundsatz - Bewerbungsverfahrensanspruch - Dokumentation der Auswahlentscheidung - einstweiliger Rechtsschutz - Konkurrentenklage - Stellenbesetzungsverfahren - Vorwegnahme der Hauptsache
Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 08.12.2011, Az. 2 Ga 4/11
1.Die Untersagung der dauerhaften Besetzung einer Stelle im öffentlichen Dienst im Wege des arbeitsgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzes kann bereits deshalb geboten sein, weil der Bewerber noch nicht über alle erforderlichen Informationen zur Auswahlentscheidung verfügt. Anders als im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit seinem Amtsermittlungsgrundsatz muss nicht bereits die Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs geprüft werden,
2.Solange keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs vorliegen, ist es allerdings nicht gerechtfertigt, die kommissarische Abordnung eines Konkurrenten auf die ausgeschriebene Stelle aufzuheben.
3.Der Anspruch eines Bewerbers auf Einsicht in die Dokumentation der wesentlichen Auswahlerwägungen kann wegen Vorwegnahme der Hauptsache in der Regel nicht im einstweiligen Rechtsschutz geltend gemacht werden.
Es wurde Berufung eingelegt beim LAG BW Kammern Freiburg unter dem Az. 22 SaGa 4/11
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2011&nr=15177&pos=0&anz=60
XVII.
Bundesentgelttarifvertrag für die chemische Industrie West (BETV) - Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats gemäß § 99 Abs. 2 BetrVG
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.11.2011, Az. 13 TaBV 6/11
1."Tätigkeitsjahre in dieser Gruppe" im Sinne des BETV sind nur solche, die der Arbeitnehmer bei einem Arbeitgeber unter Anwendung des BETV in eine bestimmte Entgeltgruppe eingruppiert gewesen ist.
2.Dies ist nur bei Arbeitgebern möglich, die den BETV tatsächlich anwenden.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2011&nr=15189&pos=2&anz=60
XVIII.
equal-pay - Leiharbeit - Bezugnahme auf Tarifvertrag
Arbeitsgericht Freiburg, Urteil vom 18.10.2011, Az. 2 Ca 218/11
1.Die Bezugnahme auf einzelne Punkte eines Tarifvertrags rechtfertigt keine Ausnahme vom equal-pay-Gebot.
2.Der "equal-pay-Anspruch" aus § 10 Abs. 4 AÜG ist auf die Zeiten begrenzt, zu denen der Leiharbeitnehmer einem Entleiherbetrieb überlassen ist. Allerdings kann sich unter den Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1, 2 Abs. 1 EFZG, § 11 Abs. 1 S. 1 BUrlG auch für arbeitsfreie Zeiten ein Anspruch auf eine höhere als die vereinbarte Vergütung ergeben.
3.Beim Vergleich der geschuldeten und der gezahlten Vergütung sind nicht einzelne Lohnbestandteile miteinander zu vergleichen, sondern die Gesamtvergütung. Zahlungen, die der Leiharbeitnehmer vom Verleiher erhält, die er aber als Stammmitarbeiter im Entleiherbetrieb nicht erhielte, sind anzurechnen.
Siehe:
http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=Arbeitsgerichte&Art=en&Datum=2011&nr=15176&pos=5&anz=60
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Ihr
Michael Henn
Rechtsanwalt/
Fachanwalt für Arbeitsrecht/
Fachanwalt für Erbrecht
VDAA - Präsident
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