Erwerbsminderungsrente geht nach Haft nicht immer verloren
Eine Gefängnisstrafe führt nicht generell zu einem Verlust des Anspruchs auf eine Erwerbsminderungsrente. Dies gilt zumindest in solchen Fällen, in denen der Gefangene vor seiner Inhaftierung schon die Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente erworben hat, entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in Celle in einem am Dienstag, 28.06.2011, veröffentlichten Urteil (AZ: L 2 R 524/10).
Die gesetzlichen Regelungen sehen für Versicherte eine Erwerbsminderungsrente vor, wenn sie nicht mehr täglich drei Stunden arbeiten können. Außerdem müssen sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge aus einer versicherten Beschäftigung entrichtet haben. Haftzeiten werden dabei nicht berücksichtigt.
Im verhandelten Fall hatte eine heute 48-jährige Frau wegen der Folgen ihrer Krebserkrankung eine volle Erwerbsminderungsrente beantragt. Ihr sei es nicht möglich, drei Stunden täglich zu arbeiten.
Der Rentenversicherungsträger wies den Antrag allerdings ab. Sie erfülle zwar die medizinischen Voraussetzungen, um eine volle Erwerbsminderungsrente zu erhalten. Sie habe es allerdings wegen ihrer mehrjährigen Inhaftierung nicht geschafft, innerhalb der letzten fünf Jahre drei Jahre Pflichtbeiträge in die Rentenversicherung zu entrichten. Damit sei ihr auch der vor ihrer Haft erworbene Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente verloren gegangen.
Das LSG gab jedoch der krebskranken Frau recht. Die sozialrechtlichen Regelungen sehen zwar vor, dass Haftzeiten nicht als rentenrechtliche Zeiten zu berücksichtigen sind. Auch begründe Gefangenenarbeit innerhalb einer Haftanstalt kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, so die Celler Richter.
Im vorliegenden Fall habe die Klägerin jedoch schon seit 1978 Beiträge gezahlt und so die Pflichtjahre schon vor ihrer Haft erfüllt. Es widerspreche dem Grundrecht auf Eigentum, wenn diese angesammelten Zeiten wegen einer Inhaftierung „ersatzlos und ohne Abwendungsmöglichkeit“ verloren gehen, so das LSG. Andernfalls hätten Häftlinge nur die Chance auf eine spätere Erwerbsminderungsrente, wenn sie sich nach ihrem Gefängnisaufenthalt erneut Rentenanwartschaften ansparen. Im konkreten Fall sei dies der Klägerin wegen ihrer Krebserkrankung jedoch verwehrt.
Außerdem sei der Staat dem Gebot des Resozialisierungsgedankens verpflichtet. Schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges auf die Inhaftierten müsse der Staat „im Rahmen seiner Möglichkeiten begegnen“. Aus diesen Gründen dürfe sich die Haftzeit der Klägerin nicht schädlich auf ihre bereits zuvor erworbene Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente auswirken, heißt es in dem Urteil 18.05.2011.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles hat das LSG die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.
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Mitgeteilt von Rechtsanwalt Thorsten Blaufelder, Kanzlei Blaufelder, Ludwigsburg
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