Niederländisches Strafurteil gegen früheren RAF-Angehörigen Folkerts aus dem Jahr 1977 - Landgericht Hamburg lehnt Strafvollstreckung in Deutschland als unzulässig ab
(Worms) Die Große Strafkammer 5 des Landgerichts Hamburg hat am 08.03.2011 die Vollstreckung einer in den Niederlanden 1977 gegen den früheren RAF-Angehörigen Knut Detlef Folkerts verhängten zwanzigjährigen Freiheitsstrafe für unzulässig erklärt. Es verstoße gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts, gegen den Verurteilten, der bereits eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt hat, heute eine weitere zwanzigjährige Freiheitsstrafe zu vollstrecken.
Darauf verweist der Wormser Fachanwalt für Strafrecht Jürgen Möthrath, Präsident des VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Worms, unter Hinweis auf den Beschluss des Landgerichts (LG) Hamburg vom 08.03.2011 - 605 StVK 640/05.
Folkerts wurde von einem Utrechter Gericht am 20.12.1977 zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, dass Folkerts am 22.09.1977 in Utrecht auf zwei Polizisten geschossen hatte, um sich seiner Festnahme zu entziehen. Der eine Polizeibeamte starb, der andere erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Der Verurteilte befand sich in niederländischer Strafhaft, bis er am 17.10.1978 nach Deutschland überstellt wurde. Am 31.07.1980 verurteilte ihn das Oberlandesgericht Stuttgart wegen dreifachen Mordes, versuchten Mordes und weiterer Straftaten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die in den Niederlanden bereits abgeurteilten Taten waren nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Nach dem Abschluss des Strafverfahrens unterblieb eine Rücküberstellung des Verurteilten an die Niederlande. Stattdessen wurde die vorübergehende Auslieferung nach Deutschland in eine endgültige umgewandelt.
Im November 1995 wurde der Verurteilte vorzeitig aus der Haft entlassen und im November 2000 der zur Bewährung ausgesetzte Strafrest erlassen. Im Juli 2005 wandten sich die Niederlande mit einem Ersuchen an das deutsche Bundesministerium der Justiz, wonach die 1977 in Utrecht verhängte Freiheitsstrafe nun in Deutschland vollstreckt werden sollte. Die hiergegen gerichtete Klage des Beklagten wurde im Juni 2010 vom Obersten Gerichtshof der Niederlande abgewiesen.
Die Große Strafkammer 5 hatte nun als Strafvollstreckungskammer über den Antrag der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, so Möthrath, die Strafvollstreckung aus dem niederländischen Urteil für zulässig zu erklären.
Hierbei kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass zwar die nach dem EG-Vollstreckungsübereinkommen erforderlichen formellen Voraussetzungen für die Vollstreckungshilfe vorlägen. Die Vollstreckungshilfe sei jedoch unzulässig, weil die Umsetzung des niederländischen Urteils mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als zentralem Grundsatz der deutschen Rechtsordnung nicht im Einklang stehe. Es sei mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unvereinbar, für die Taten des Verurteilten zwei unabhängige Freiheitsstrafen zu vollstrecken, da dies insgesamt zu einer unerträglich langen Strafe führe.
Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, so werden sowohl nach dem deutschen als auch nach dem niederländischen Recht die Einzelstrafen nicht addiert, sondern es wird eine einheitliche Gesamtstrafe gebildet. Wären auch die in den Niederlanden begangenen Taten des Verurteilten 1980 im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart abgeurteilt worden, hätte das Gericht als Gesamtstrafe höchstens eine lebenslange Freiheitsstrafe bilden können, denn eine „mehrfach lebenslange“ Strafe sieht das deutsche Recht nicht vor.
Die Strafvollstreckungskammer geht davon aus, dass der Verurteilte bei Einbeziehung der in den Niederlanden begangenen Taten wegen der Schwere seiner Schuld nicht bereits nach 17, sondern erst nach etwa 20 Jahren Haftverbüßung zur Bewährung entlassen worden wäre. Würde jedoch jetzt neben der bereits verbüßten Strafe von 17 Jahren eine weitere Strafe von 20 Jahre festgesetzt, ergäbe sich eine Verbüßungsdauer von 37 Jahren. Damit wäre fast das Doppelte der Straflänge erreicht, die bei einer Verurteilung in Deutschland höchstens zu erwarten gewesen wäre.
Die Kammer betont, dass die gänzliche Verweigerung der Vollstreckungshilfe zu einem unbefriedigenden Ergebnis führe, da der Verurteilte jetzt im Ergebnis besser gestellt sei, als wenn die von ihm in den Niederlanden begangenen Taten in Deutschland abgeurteilt worden wären. Der Angeklagte hätte dann - wie oben dargestellt – eine um einige Jahre längere Haft verbüßen müssen. Nach der geltenden Rechtslage verbiete es jedoch die Souveränität des ausländischen Staates, die Strafhöhe zu ändern. Die Kammer könne ein Vollstreckungsersuchen deshalb nur insgesamt als zulässig oder unzulässig beurteilen.
Gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer steht der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu.
Möthrath empfahl, dies und einen etwaigen Fortgang zu beachten sowie in allen strafrechtlich relevanten Fällen, unabhängig von diesem Fall, so früh wie möglich rechtlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auch auf die Anwälte und Anwältinnen in dem VdSRA-Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V. – www.vdsra.de - verwies.
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Jürgen Möthrath
Rechtsanwalt/Fachanwalt für Strafrecht
Präsident des VdSRA Verband deutscher StrafrechtsAnwälte e. V.
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