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Stundenlohn von 5 Euro - sittenwidrig

In einer vorab als Pressemitteilung veröffentlichten Entscheidung hat das Landesarbeitsgericht Bremen kürzlich zur Frage der Sittenwidrigkeit der Höhe des Stundenlohns einer geringfügig beschäftigten Arbeitnehmerin Stellung genommen (Urteil des Landesarbeitsgericht Bremen vom 17.06.2008, Az.: 1 Sa 29/08).

Die Landesarbeitsrichter hatten über den Fall einer Arbeitnehmerin zu entscheiden, welche im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses durch den beklagten Arbeitgeber für Auspack- und Einräumarbeiten in Supermärkten eingesetzt war. Der Arbeitgeber hatte mit der Arbeitnehmerin für die Durchführung der Arbeiten einen Stundenlohn von fünf Euro vereinbart.

Die Arbeitnehmerin verlangte mit ihrer Klage von dem beklagten Arbeitgeber die Zahlung eines höheren Stundenlohns; der vereinbarte Lohn von fünf Euro/Stunde sei sittenwidrig niedrig.

Dabei stütze sich die Klägerin auf einen Vergleich mit den nach dem Gehalts- und Lohntarifvertrag für den Einzelhandel Bremen und Bremerhaven geltenden Stundenvergütungssätzen. Der in Bezug genommene Tarifvertrag sah für gewerblich beschäftigte Arbeitnehmer eine Mindestvergütung in Höhe von 9,70 Euro/Stunde vor.

Die Vorinstanz gab der Klage der Arbeitnehmerin statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung des tariflichen Stundenlohns. Die hiergegen eingelegte Berufung des beklagten Arbeitgebers zum Landesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg.

Die Richter urteilten, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung einer Vergütung nach der einschlägigen Tarifgruppe des Gehalts- und Lohntarifvertrags des Einzelhandels Bremen und Bremerhaven habe. Die vertraglich vereinbarte Vergütung von fünf Euro/Stunde sei sittenwidrig, da sie mehr als ein Drittel unter der einschlägigen tariflichen Vergütung liege.

Mit seiner Entscheidung übernehmen die Bremer Landesarbeitsrichter eine betragsmäßige Grenze, welche bereits der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 1997 in der Diskussion um die Frage des sog. Lohnwuchers gezogen hatte (BGH NZA 1997, Seite 1167). Der erste Strafsenat des BGH hatte ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung grundsätzlich bei einer Unterschreitung des maßgeblichen Tariflohns um ein Drittel bejaht.

Die prozentualen Abweichungen, ab deren Grenze der Tatbestand sittenwidrig niedriger Vergütung (sog. Lohnwuchers) in der Rechtsprechung bejaht wird, sind uneinheitlich.

Das LAG Berlin z.B. hat eine Vergütung von 42% unter Tariflohn als wucherisch angesehen (LAG Berlin NZA-RR 1998, Seite 392).

Andere Arbeitsgerichte, beispielsweise das LAG Düsseldorf (LAG Düsseldorf BB 1978, Seite 185) oder auch das Arbeitsgericht Bremen (ArbG Bremen NZA-RR 2001, Seite 27 ff.) hatten für das Vorliegen sog. Lohnwuchers erst eine Unterschreitung des üblichen Tariflohns um 40% ausreichen lassen. Dabei hatte sich das Arbeitsgericht Bremen jedoch an dem für die Tätigkeit einschlägigen Tariflohn, sondern an dem allgemeinen Lohnniveau in dem Wirtschaftsgebiet für vergleichbare Tätigkeiten orientiert.

Das Arbeitsgericht Bremen hatte in der vorgenannten Entscheidung aus dem Jahre 2000 zudem darauf hingewiesen, dass bei besonders niedrigen Löhnen ein strengerer Maßstab anzulegen sei, als bei Löhnen, die immerhin geeignet seien, die Grundlage für ein würdiges, durch Arbeit finanziertes Leben ohne weiteres zu sichern.

Das Bundesarbeitsgericht hatte in einer älteren Entscheidung eine Unterschreitung des Tariflohns um 26% für nicht ausreichend erachtet (BAG AP Nr. 30 zu § 138 BGB).

An die Stelle der sittenwidrigen und damit unwirksamen (§ 138 BGB) Lohnvereinbarung tritt nach § 612 Abs. 1, 2 BGB der Anspruch des Arbeitnehmers auf die übliche Vergütung. Das ist nach allgemeiner Meinung die für gleiche oder ähnliche Dienstleistung an dem betreffenden Ort/in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet gewöhnlich gewährte Vergütung.

Dabei ist nach der Rechtsprechung des BAG der Tariflohn des jeweiligen Wirtschaftszweiges Ausgangspunkt zur Feststellung des Wertes des Arbeitsleistung, wenn in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird (BAG, Urteil vom 24.03.2004, Az.: 5 AZR 303/03).

Für Arbeitnehmer ist dabei bereits entschieden, dass auch bei nichttarifgebundenen Arbeitnehmern der entsprechende Tariflohn zu Grunde zu legen ist. treten die tariflichen Regelungen, so dass die Klägerin den Tariflohn beanspruchen kann.

Arbeitgeber sind in einem solchen Fall auch ohne beiderseitige Tarifbindung verpflichtet, den einschlägigen tariflichen Stundenlohn (in dem vom LAG Bremen nunmehr entschiedenen Fall: mindestens 9,70 Euro/Stunde) zu zahlen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ließen die Bremer Landesarbeitsrichter die Revision zum Bundesarbeitsgericht zu. Eine rechtskräftige Entscheidung bleibt daher abzuwarten.

Quelle: Rechtsanwalt Dr. Philipp Brügge LL.M.
 
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