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zusammengestellt von Rechtsanwalt/Fachanwalt für Arbeitsrecht u. Fachanwalt für Erbrecht
Michael Henn, Stuttgart
I.
Rückabwicklung eines Immobilienerwerbs
BGH, Urteil vom 26.01.2012, Az. VII ZR 154/10
a.Werden bei der Rückabwicklung eines Immobilienerwerbs im Wege des großen Schadensersatzes die Anschaffungskosten dadurch zurückgewährt, dass der Erwerber von seiner Darlehensverbindlichkeit gegenüber der finanzierenden Bank befreit wird, und haben sich die Anschaffungskosten als Absetzung für Abnutzung steuerrechtlich ausgewirkt, fließen dem Erwerber als Werbungskosten geltend gemachte Aufwendungen zu, die als Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung zu versteuern sind.
b.Diese Steuerverbindlichkeit ist bei der Berechnung des Schadensersatzanspruchs zu berücksichtigen, soweit der Erwerber sich die erzielten Steuervorteile anrechnen lässt (Fortführung von BGH, Urteil vom 19. Juni 2008 - VII ZR 215/06, BauR 2008, 1450 = ZfBR 2008, 669).
II.
Zur Farbwahlklausel, die ausschließlich für den Zeitpunkt der Rückgabe der Mietwohnung Geltung beansprucht
BGH, Urteil vom 22.02.2012, Az: VIII ZR 205/11
Auch wenn der Mieter die Wohnung bei Mietbeginn mit einem neuen weißen Anstrich übernommen hat, benachteiligt ihn eine Farbwahlklausel nur dann nicht unangemessen, wenn sie ausschließlich für den Zeitpunkt der Rückgabe Geltung beansprucht und dem Mieter noch einen gewissen Spielraum lässt.
III.
Handelsregisterrecht
OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.03.2012, Az. 8 W 82/12
Durch die Liberalisierung des Firmenrechts kann von einer wesentlichen Irreführung im Sinne des § 18 Abs. 2 S. 1 HGB bei einer Sachfirma nicht allein deshalb ausgegangen werden, weil sie den Unternehmensgegenstand für Dritte nicht erkennen lässt. Selbst das Abstellen auf den Tätigkeitsbereich bedarf einer großzügigen Beurteilung. Denn die Grenzen zur Fantasiefirma sind fließend, nachdem eine Firma nicht nur als Sach- und Personenfirma gebildet werden kann, sondern auch als Fantasiefirma sowie als Kombination aus diesen Möglichkeiten.
§ 18 Abs. 2 S. 2 HGB hat zudem eine deutliche Verminderung des Prüfungsaufwandes des Registergerichts im Eintragungsverfahren bewirkt. Zu berücksichtigen hat es nur noch eine "ersichtliche" Irreführung. Seine Prüfungsintensität ist damit auf ein "Grobraster" reduziert.
IV.
Beschäftigter - Entschädigung - unmittelbare Benachteiligung
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 16.12.2011 - 16 Sa 965/11
1.Wer sich nicht subjektiv ernsthaft um eine Stelle bewirbt, ist kein Beschäftigter im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG.
2.Voraussetzung für eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG ist eine ungünstigere Behandlung des Bewerbers in einer vergleichbaren Situation. Dies setzt die objektive Eignung für die ausgeschriebene Stelle voraus. Wer für die ausgeschriebene Stelle objektiv überqualifiziert ist, ist kein objektiv geeigneter Bewerber.
V.
Betriebsratstätigkeit, Zeiterfassungssystem, Betriebsvereinbarung, Freistellung
Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 02.02.2012, Az. 3 TaBV 56/11
Die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds nach § 38 BetrVG führt zur Befreiung von der arbeitsvertraglich fixierten Hauptleistungspflicht zur Arbeit, nicht aber von der Einhaltung der vertraglichen Arbeitszeit. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 38 Abs. 1 BetrVG ("von ihrer beruflichen Tätigkeit sind ... freizustellen"), dem Sinn und Zweck des § 38 BetrVG und der systematischen Auslegung unter Berücksichtigung der Teilfreistellung in § 38 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Freigestellte Betriebsratsmitglieder haben deshalb grundsätzlich das Recht und die Pflicht auf Anwendung der Zeiterfassungssysteme regelnden Betriebsvereinbarung. Ein Verzicht der Arbeitgeberin auf diese Anwendung verstößt, sofern nicht in der Betriebsvereinbarung geregelt, gegen § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG
VI.
Führung von Mitarbeiterjahresgesprächen - Mitbestimmung des Betriebsrats - Schutzfunktion der Grundrechte:
Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 06.02.2012, Az. 16 Sa 1134/11
1.Bei der Einführung von Mitarbeiterjahresgesprächen handelt es sich um eine mitbestimmungspflichtige Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.
2.Die Mitbestimmung ist nicht nach § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG ausgeschlossen. Eine gesetzliche oder tarifliche Regelung in Bezug auf Mitarbeiterjahresgespräche besteht nicht.
3.Die von den Betriebspartnern abgeschlossene Betriebsvereinbarung über Mitarbeiterjahresgespräche verstößt nicht gegen Art. 5 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG.
VII.
Schadensersatz bei Verkehrsunfall: Abrechnung auf Neuwagenbasis; Feststellungsbegehren
OLG Celle, Urteil vom 29.02.2012, Az. 14 U 181/11
1.Eine Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis scheidet aus, wenn ein Leasingfahrzeug zum Unfallzeitpunkt bereits einen Monat zugelassen war und über 4.200 km Laufleistung aufwies.
2.Zur Problematik eines Feststellungsbegehrens im Rahmen einer beabsichtigten Schadensabrechnung auf Neuwagenbasis bei einem durch Verkehrsunfall beschädigten Leasingfahrzeug.
VIII.
Pauschale Gebühr für Rücklastschrift ist unzulässig
Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 24.02.2012, Az. 7 W 92/11
Schadenpauschalen im Falle einer Rücklastschrift müssen dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen. Hat der Verwender der AGB seinen Zahlungsverkehr auf das Lastschriftverfahren eingerichtet, so kann er seine internen Verwaltungskosten nicht in die Pauschale einbeziehen.
Im konkreten Fall hatte eine Mobilfunkdienstleister eine Schadenspauschale von 15 € in den AGB vorgesehen, diese war aus Sicht des Gerichts zu hoch (Anmerkung der Schriftleitung)
IX.
Außerordentliche Verdachtskündigung - unbefugte Herstellung und Vertrieb von Fahrscheinen
LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.02.2012, Az. 24 Sa 1800/11
1.Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn starke auf objektiven Tatsachen gründende Verdachtsmomente gegeben sind, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Verdachts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete Tatsachen gestützt sein. Er muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Der Verdacht muss dringend sein.(Rn.35)
2.Der absolute Ausschluss der Täterschaft Anderer ist nicht Wirksamkeitsvoraussetzung. Für eine Verdachtskündigung genügt eine hohe Wahrscheinlichkeit der Täterschaft, die nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass auch die Täterschaft anderer - allerdings nur mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit - in Betracht kommt.(Rn.39)
3.Eine schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Das gilt auch für die Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten.(Rn.45) Ein Arbeitnehmer verletzt seine Pflicht aus § 241 Abs 2 BGB, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen, durch die unerlaubte Herstellung von Fahrausweisen für Beförderungsleistungen des Arbeitgebers und deren Weitergabe an Dritte in erheblichem Maße.(Rn.46)
(Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt unter dem Aktenzeichen 2 AZN 562/12)
X.
Anfechtung der Entlastung
OLG Stuttgart, Urteil vom 29.02.2012, Az. 20 U 3/11
1.Bei Geschäften, die wegen ihres Umfangs, der mit ihnen verbundenen Risiken oder ihrer strategischen Funktion für die Gesellschaft für die Gesellschaft besonders bedeutsam sind, muss jedes Aufsichtsratsmitglied den relevanten Sachverhalt erfassen und sich ein eigenes Urteil bilden; dies umfasst regelmäßig auch eine eigene Risikoanalyse.
2.Mitglieder des Aufsichtsrats, die durch öffentliche "pointierte Meinungsäußerungen" im Rahmen eines unternehmensinternen Konflikts die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft gefährden, verletzen grundsätzlich ihre Treuepflicht dieser gegenüber.
3.Lässt sich ein Sachverhalt zwar unterschiedlich interpretieren, ergibt sich aber in jedem Fall eine schwerwiegende Pflichtverletzung des Entlasteten, fehlt es nicht an der für die Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses nötigen Eindeutigkeit einer Pflichtverletzung des Entlasteten.
4.Zwar setzt die Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses voraus, dass die eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung des Entlasteten dem objektiven Durchschnittsaktionär in der über die Entlastung beschließenden Hauptversammlung erkennbar war. Sind die tatsächlichen Umstände, aus denen die Pflichtverletzung abzuleiten ist, unstreitig, genügt dazu aber, dass sie den Hauptversammlungsteilnehmern durch den Redebeitrag eines Aktionärs vor Augen geführt werden.
5.Folgt eine die Entlastung hindernde Pflichtverletzung aus bestimmten Äußerungen des Entlasteten, schiebt der Anfechtungskläger jedenfalls dann nicht in unzulässiger Weise Anfechtungsgründe nach, wenn er zwar nach Ablauf der Anfechtungsfrist vorträgt, dass dem objektiven Durchschnittsaktionär diese Äußerungen in der Hauptversammlung vor Augen geführt wurden, aber bereits vor Ablauf der Anfechtungsfrist die Äußerungen und die Interpretationsmöglichkeiten, an die er den Vorwurf der Pflichtverletzung knüpft, vorgetragen hatte.
6.Werden alle Mitglieder des Aufsichtsrats durch einen Beschluss entlastet, obwohl Einzelentlastung beantragt worden war, ist der angefochtene Entlastungsbeschluss regelmäßig insgesamt für nichtig zu erklären, wenn in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds eine die Entlastung hindernde eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung festzustellen ist.
Die Urteile wurden von Rechtsanwalt Michael Henn zusammengestellt.
Michael Henn ist Schriftleiter der mittelstandsdepesche und Vizepräsident der Deutschen Anwalts- und Steuerberatervereinigung für die mittelständische Wirtschaft e. V.
Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Michael Henn
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Fachanwalt für Erbrecht
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